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Bach: Trost und Freude

Das Bachhaus in Eisenach zeigt eine der bedeutendsten Ausstellungen zu Bachs Leben

Das Bachhaus in Eisenach zeigt eine der bedeutendsten Ausstellungen zu Bachs Leben

ERMUTIGUNG NACH 200 JAHREN
(auf dem Heimweg von einem Orgelkonzert)

Zu füßen gottes, wenn
gott füße hat,

zu füßen gottes sitzt
Bach,

nicht

der magistrat von Leipzig

Reiner Kunze

Herr F. lebte bis zu seinem Tod vor ein paar Monaten im selben Pflegeheim wie meine Mutter in einer Kleinstadt am Fuß der Schwäbischen Alb. Während seines Berufslebens war er Professor für Musikwissenschaften und hat bis zu seiner Emeritierung an verschiedenen deutschen Universitäten gelehrt. Trotz seiner fortschreitenden Erkrankung machte Herr F. immer einen freundlichen und offenen Eindruck, wenn ich ihn bei meinen Besuchen im Heim getroffen habe.

Besonders haben seine Augen geleuchtet, wenn ich ihm von meinem Smartphone ein Stück von Johann Sebastian Bach vorgespielt habe. Auszüge aus den „Goldberg-Variationen“ etwa oder den Choral „Jesus bleibet meine Freude“ gespielt von Dinu Lipatti. Bach-Experten, wie Herr F. einer war, sagen, Lipattis Interpretation sei einer der schönsten.

An Herrn F. und an Dinu Lipatti musste ich sofort denken, als ich vor ein paar Wochen das Gedicht von Reiner Kunze in seinem Band „auf eigene hoffnung“ (S. Fischer Verlag, 1981) entdeckt habe. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Herr F. und Dinu Lipatti (1917 – 1950) neben Bach zu Füßen Gottes sitzen – wenn Gott denn Füße hat.

Euch allen ein erholsames Wochenende!

NK | CK

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Die letzten Gartenarbeiten

Nass war er, der Oktober, gut für die Natur.

Viel zu warm war er, der Oktober, aber wenigstens hat es mal wieder richtig geregnet

Kalter Dauerregen
die letzten Gartenarbeiten
müssen warten

Cold steady rain
the last chores of fall
have to wait

Dieses Haiku nimmt Bezug auf das schöne Gedicht „Last Chores of Fall“ (Die letzten Arbeiten im Herbst) des Freundes und Dichters Jack Ridl:

Last Chores of Fall

The trace of November lingering
along the ridge behind our house,
the exhale of yellow-gold
within the stagger of oaks.
tells us it is time to move inside,
let our blood return to its quiet
wander, the year now browning
toward a sudden frost. This
afternoon I will slowly uproot
the impatiens, tossing
their gasps of pink, white,
and salmon into the dark
of the compost pile. Remembering
to bend at the knees, I’ll carry
the cracked and chipped pots
back to the garden’s shed,
stack them, letting the clay
of one pot settle into the dirt
in another. I’ll bring in
the geraniums, their twisted,
leggy stems nearly leafless
and cut them down to hopeful
nubs, then set them on the sill.
The dogs will watch as I wash
and dry the trowel my father
used for thirty years. Each
year he added another row
or two of flowers. I’ll hang
the trowel on its rusty nail.
The dogs will lift their mysterious
noses into the changing air, into
the smells of mud, moldering
leaves, the scent of approaching
snow along the stream below
the barren ridge. Then I will
turn back to the house, the sun
burning down early into its setting.

Jack Ridl

Used here with kind permisson of the author.

NK | CK

Buchinformation

Jack Ridl
broken symmetry
Wayne State University Press, Detroit, USA
ISBN: 9780814335208

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„Solange wir schwimmen“ · Roman von Julie Otsuka

„Im Schwimmbad gelingt es uns an den meisten Tagen, unsere Landsorgen hinter uns zu lassen.“

„Im Schwimmbad gelingt es uns an den meisten Tagen, unsere Landsorgen hinter uns zu lassen.“

Solange wir schwimmen

„Solange wir schwimmen“ heißt der neue Roman der US-amerikanischen Autorin Julie Otsuka, erschienen im August 2023 im mare-Verlag. Es geht, wie der Titel sagt, ums Schwimmen, aber vor allem auch um das allmähliche Verschwinden eines geliebten Menschen: Alice.

Im ersten Teil dieses außergewöhnlichen Romans begegnen wir Alice jedoch noch nicht als Protagonistin, sondern als Teil einer verschworenen Gemeinschaft von Schwimmerinnen und Schwimmern. Es ist eine Gruppe völlig unterschiedlicher Menschen, die sich regelmäßig in einem Bad tief im Souterrain irgendwo in L.A. zum Schwimmen trifft:

Vielesser, Nichtskönner, Hundesitter, Crossdresser, Strickverrückte (Nur noch eine Reihe), heimliche Hamsterer, unbedeutende Dichter, nachziehende Ehepartner, Zwillinge, Veganerinnen …

Und diese Gemeinschaft hat sich Regeln auferlegt zum Umgang miteinander, eine von diesen lautet: nett zu Alice zu sein. Weil Alice manches nicht mehr versteht oder einordnen kann. Alices beginnende Demenz wird hier nur kurz erwähnt.

Dieser erste Romanteil hat etwas Heiter-Komisches, es geht um Typen und Schwimmgewohnheiten, wie sie jeder kennt, der regelmäßig im Hallen- oder Freibad seine Bahnen zieht. Ungewöhnlich, aber interessant ist die Wir-Erzählperspektive, die die Autorin dabei wählt. Eines Tages wird die Schwimmgemeinschaft auf einen Riss, später auf mehrere Risse, auf dem Grund des Beckens aufmerksam. Was als Irritation beginnt, bereitet immer mehr Sorgen (der Roman spielt in Kalifornien, wo das große Beben immer passieren kann) und endet nach etlichen Verzögerungen, für manche sehr schmerzhaft, in der Schließung des Schwimmbads.

Der anfänglich nur kleine Riss hat große Folgen

Der anfänglich nur kleine Riss hat große Folgen

Metaphorisch kann man die Risse als Brüche des Lebens verstehen oder hier als Übergang in die nächste Krankheitsphase von Alice betrachten. Solange Alice schwimmen konnte, gab das Wasser ihr Auftrieb, folgte Alice dem Automatismus ihrer Schwimmbewegungen.

Zahlen malen statt Bahnen ziehen

Der zweite Teil beginnt mit der Aufnahme von Alice in das Pflegeheim „Belavista“. Und nun hat der Roman einen völlig anderen Ton. Für Leserinnen und Leser, die diese Erfahrung bereits mit einem geliebten Menschen gemacht haben, sind einige dieser Seiten sehr schmerzhaft zu lesen. Denn Julie Otsuka beschreibt jede Beobachtung, jedes Detail in einer kompromisslosen Schärfe. Die direkte Ansprache des Lesers in der Höflichkeitsform verstärkt diese Wirkung nochmals und macht uns klar, dass es jeden treffen kann:

Sie sind heute hier, weil Sie den Test nicht bestanden haben. Vielleicht ist es Ihnen nicht gelungen, alle Zahlen auf das Ziffernblatt zu malen oder das Wort „Welt“ rückwärts zu buchstabieren oder sich auch nur an eins der fünf unzusammenhängenden Wörter zu erinnern, die Ihnen soeben, vor nur wenigen Minuten, von einer unserer professionell geschulten Prüferinnen vorgelesen wurden.

In einem dritten Teil steht die Tochter der dementen Alice im Fokus: wie hat sie das allmähliche Verschwinden der Mutter erlebt? Hier wählt die Autorin die Du-Perspektive, vielleicht auch um mehr Distanz zu den eigenen Empfindungen zu gewinnen.

Natürlich hatte es die üblichen ersten Anzeichen gegeben, die du aber nicht wahrhaben wolltest. (…) Das leicht fahrige Lächeln. Der zusätzliche Sekundenbruchteil – so kurz, dass es fast nicht auffiel, aber in diesem kurzen Moment wusstest du, dass es dich nicht gab –, den sie brauchte, um am Telefon deine Stimme zu erkennen.

Dadurch wird jedoch auch der Leser sehr direkt angesprochen: Wie gehen wir um mit der Erkenntnis des Versäumten, wie gehen wir um mit den Irrtümern unseres Lebens?

Du bist nie mit ihr nach Paris oder Venedig oder Rom gefahren, an all die Orte, von denen sie immer geträumt hatte –

AJulie Otsuka: Solange wir schwimmenber selbst hier, im schwierigen zweiten und dritten Teil des Romans, blitzt Otsukas Sinn für das Witzig-Komische manchmal auf. Überhaupt zeichnet dieser Roman die besondere Beobachtungsgabe von Julie Otsuka aus, genauso ihr unglaublich gutes Gespür für Phrasen und Floskeln.

Ein sprachlich wie inhaltlich sehr interessantes Buch!

CK I NK

Buchinformation

Julie Otsuka
Solange wir schwimmen
aus dem Englischen von Katja Scholtz
gebunden, 160 Seiten, Lesebändchen
mare Verlag, 2023
ISBN: 978-3-86648-691-1

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Lesen und Kochen: Der literarische Küchenkalender 2024

Bäume wachsen nicht in den Himmel, wusste schon Goethe, aber was ist mit den Kürbissen?

Bäume wachsen nicht in den Himmel, wusste schon Goethe, aber was ist mit den Kürbissen?

Im Herbst bekommen wir immer wieder Lust aufs Kochen und neue Rezepte. Gerade wenn es allmählich draußen schmuddeliger wird, und wir trotzdem mit dem Hund raus müssen. Dann sind wir hinterher gern in unserer Küche gemütlich mit Kochen beschäftigt.

Quittengelee: macht viel Arbeit, schmeckt aber ziemlich göttlich.

Quittengelee: macht viel Arbeit, schmeckt aber ziemlich göttlich.

Der Vorrat an Quittengelee muss dringend aufgefüllt werden, und die leider nicht schmackhaften Äpfel unserer alten Bäume werden zu Apfelmus oder einem Crumble verarbeitet. Gerne hören wir dabei einen guten Podcast an, zuletzt zum Beispiel ein Interview mit Milena Michiko Flašar vom 6. Oktober 2023 im Deuschlandfunk Kultur. Milena Michiko Flašar ist eine ebenso interessante wie sympathische österreichisch-japanische Autorin, deren neuesten Roman wir vor Kurzem hier besprochen haben.

Lesen und Kochen

Lesen und Kochen (und besagtes Spazierengehen) sind für uns auch die beste und einfachste Art, vom Beben und Zittern dieser Welt Abstand zu gewinnen. Das soll nicht bedeuten oder anraten, sich völlig zurückzuziehen, denn es ist unserer Meinung nach wichtig, sich genau und aktiv mit dem Rechtsruck in unserer Gesellschaft auseinanderzusetzen. Aber es ist genauso wichtig, sich immer wieder um das richtige Maß zu kümmern: wieviel von dieser Welt lasse ich in mein privates Leben hinein?

Anregungen zum Lesen und Kochen

Literarischer Küchenkalender 2024, edition momenteWer selbst Anregungen sucht oder jemanden beschenken will, der gerne liest und gerne neue Rezepte ausprobiert, dem können wir den neuen Literarischen Küchenkalender 2024 empfehlen. Woche für Woche begegnen uns hier ausgesuchte, Appetit machende Textstellen aus neueren und älteren Romanen von lebenden und verstorbenen Autor*innen. Wir treffen so zum Beispiel auf Adriana Altaras („Besser allein als in schlechter Gesellschaft“), Yasmina Reza („Serge“), Hanns-Josef Ortheil („Das Verlangen nach Liebe“), Bonnie Garmus („Eine Frage der Chemie“) oder Benjamin Myers („Offene See“), was auch an viele schöne Lesestunden erinnert …

Es gibt jeweils eine kurze Inhaltsangabe des Romans und ein Rezept, passend zum jeweiligen Zitat. Das macht häufig Lust auf beides: den Roman (wieder) zu lesen und das Essen! Herausgegeben wurde dieser schön gestaltete Wochenkalender letztmalig von Sybil Gräfin Schönfeldt, die im Dezember 2022 im Alter von 95 Jahren verstorben ist.

Guten Appetit!

CK I NK

Information

Der literarische Küchenkalender 2024
herausgegeben von Sybil Gräfin Schönfeldt im Verlag edition momente
Wochenkalender mit 60 Seiten
ISBN-13: 978-3840041013
Abmessungen: ‎ 19,2 cm x 1,3 cm x 31,5 cm

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Haiku für einen Quittenbaum

Die Früchte der Birnenquitte sind besonders schön und schmecken als Gelee oder Schnaps wunderbar

Die Früchte der Birnenquitte sind besonders schön und schmecken als Gelee oder Schnaps wunderbar

Herbst, und
wieder vermissen wir
den alten Quittenbaum

Dieses Haiku widmen wir unserem alten Quittenbaum, der im Herbst 2018 einfach umgefallen ist. Sein Anblick und seine Früchte werden schmerzlich vermisst.

NK | CK

700 Quittenarten gibt es. Unser Quittenbaum mit den Birnenquitten war besonders schön und ergiebig.

700 Quittensorten gibt es. Unser Quittenbaum mit den Birnenquitten war besonders schön und ergiebig.

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John Lewis-Stempel klärt auf: Das geheime Leben der Eule

Die Waldohreule (Asio otus) ist ausschließlich nachaktiv

Die Waldohreule (Asio otus) ist ausschließlich nachtaktiv. Foto: Norbert Kraas

Ogygoptynx wetmorei

Hinter diesem fast unaussprechlichen Namen verbirgt sich das älteste Fossil einer Eule: es ist der früheste Nachweis einer Eule „mit einem Alter von ungefähr 58 Millionen Jahren“. Unglaublich, oder? Und noch viel unglaublicher ist, wie sich Eulen im Laufe von Jahrmillionen an ihr meist nachtaktives Dasein angepasst haben. Aber der Reihe nach.

Der englische Farmer und preisgekrönte Nature Writer John Lewis-Stempel hat ein Buch über Eulen geschrieben. „Das geheime Leben der Eule“ heißt der schmale, sehr schön aufgemachte Band, der bei DuMont erschienen ist. Das Buch ist ein kleiner Schatz und macht uns mit einem Vogel vertraut, den viele von uns wahrscheinlich noch nie in freier Wildbahn gesehen haben. Mir ist jedenfalls noch nie eine Eule im Wald vor die Linse geflogen. Aber nachdem ich das Buch gelesen habe, geht es mir wie Lewis-Stempel, der nach einer Begegnung mit Old Brown, einem Waldkauz in seinem Drei-Morgen-Wald schreibt:

„Ich hingegen hatte keinen dringenderen Wunsch, als Eulen zu beobachten.“

Aber was ist es, was uns so an Eulen fasziniert? Warum haben die Menschen in allen Zeiten und fast allen Kulturen ein ganz besonderes Verhältnis zu diesem Vogel entwickelt, der zum einen als Todesbote gefürchtet wird, zum anderen als Symbol für Klugheit steht?

„Dank ihrer aufrechten Haltung, der großen Augen und des breiten, homo-sapiens-ähnlichen Gesichts ist die Eule leicht zu vermenschlichen (oder in Kuscheltiere zu verwandeln).“

Die Eule ist uns ähnlich, so der Autor und weiter: „wir sind genetisch auf die Anteilnahme am Schicksal unserer Doppelgänger programmiert.“

Und da ist viel dran, wie man in Tübingen vor ein paar Jahren beobachten konnte. Da haben nämlich ein paar Waldohreulen auf einem Parkplatz in einem Wohngebiet auf Bäumen Quartier gemacht und sich tagsüber für ihre nächtlichen Beutezüge ausgeruht. Als sich das rumgesprochen hat, sind Eulenfans und ambitionierte Vogelfotografen von weit her angereist, um sich von den Eulen beobachten zu lassen.

Eulen-Biologie

In drei dicht geschriebenen Kapiteln gliedert sich dieses Buch, und mit jeder Seite lernen wir neue Dinge über diesen besonderen Vogel, der aktiv ist, wenn wir schlafen. Eulen gehören zu den drei Prozent unter den Vögeln, die nach Sonnenuntergang unterwegs sind. Was zugegeben, das Eulen-Watching nicht einfacher macht.

225 verschiedene Eulenarten gibt es weltweit, und sie wiegen zwischen grade mal 47 Gramm (Elfenkauz) und viereinhalb Kilo (Riesenuhu). Dementsprechend ernähren sich diese unterschiedlichen Eulen von unterschiedlichen Beutetieren, die sie praktisch ausschließlich im Zwielicht oder bei Nacht jagen. Und für diese nächtliche Jagd, schreibt der begnadete Naturerzähler Lewis-Stempel, sind sie phantastisch ausgerüstet: manche können ihren Kopf um bis zu 270 Grad drehen, dazu um 90 Grad nach oben oder unten schwenken.

In der Nacht sind Waldohreulen in der Lage, eine Maus zu erkennen, „wenn die Lichtstärke der einer Kerze in einem Fußballstadion entspricht.“ Man könnte neidisch werden, denn unsere eigene Nachtsichtfähigkeit ist dagegen nur als bemitleidenswert zu bezeichnen. Noch unglaublicher sind die Gehörleistungen der Eule, deren Ohren asymmetrisch am Schädel angebracht sind und mit denen sie jedes Geräusch exakt lokalisieren können.

„Beim Empfangen von Geräuschen können Eulen Zeitunterschiede von nur 30 Millionstel einer Sekunde wahrnehmen.“

Damit sind einige Eulen in der Lage, im Stockdunkeln zu jagen; fast lautlos fliegen können diesen wunderbaren Tiere ja sowieso.

Eulen-Arten

Von der Biologie kommt John Lewis-Stempel zur Beschreibung unserer einheimischen Eulenarten. Zehn Eulen stellt er uns vor, vorangestellt ist jeweils eine sehr schöne Zeichnung der jeweiligen Eulenart.

Der Steinkauz (Athena noctua) war Pallas Athene zugeordnet, der Göttin der Weisheit.

Der Steinkauz (Athena noctua) war Pallas Athene zugeordnet, der Göttin der Weisheit.

Mit einer Flügelspannweite von 160 cm steht dabei der Uhu (Bubo bubo) größenmäßig an der Spitze, entsprechend groß können seine Beutetiere sein: Katzen und Lämmer eingeschlossen. Der Steinkauz hingegen, der grade mal 55 cm Spannweite hat und maximal 190 g wiegt (Weibchen), ernährt sich hauptsächlich von Insekten, die er entweder im Flug erlebt oder am Boden zu Fuß jagt. Und wusstet ihr, dass die Sumpfohreule bis zu 6000 Wühlmäuse pro Jahr vertilgt? Das macht diese Eulenart zum Schädlingsbekämpfer und Helfer der Landwirtschaft, wo die Wühlmaus nicht gern gesehen ist.

Eulen und Mythen

Im letzten Kapitel beschäftigt sich der Autor ausführlich mit dem Verhältnis des Menschen zur Eule.

„Eulen tauchen seit der Steinzeit in jeder wichtigen Kultur auf“

Es geht um Mythen, Sagen, Literatur und den menschlichen Aberglauben, der die Eule seit Jahrtausenden begleitet. Die älteste bekannte Eulendarstellung im Tal der Ardèche wird auf 30000 Jahre datiert. Von Eulen lesen wir bei Shakespeare und in „Harry Potter“, wo uns die Schneeeule Hedwig ebenso verzückt wie die freundliche, kluge Eule in „Pu der Bär“. In der griechischen Antike galt die Eule als Glücksbringer, was auch amerikanische Präsidenten wussten:

„Athenische Eulen bringen Glück – dieser Glaube war so verbreitet, dass sogar US-Präsident Theodore Roosevelt einen Eulen-Talisman aus Athen bei sich trug.“

John Lewis-Stempel: Das geheime Leben der Eule. DuMont BuchverlagBleibt die Frage, warum man sich im Jahr 2023 mit einem Buch über Eulen befassen sollte? Nun: zum einen ist John Lewis-Stempel ein belesener, nie geschwätziger Autor, der erzählen kann; und zum anderen verschafft uns dieser schmale Band eine Verbindung zur Natur, die wir auch in Zeiten von Künstlicher Intelligenz tunlichst nicht verlieren sollten. Und vielleicht regt dieses von Sofia Blind sehr gut übersetzte Eulenporträt die eine oder andere Leserin ja an, selbst einmal im Zwielicht in einem nahen Wald nach Eulen Ausschau zu halten.

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Buchinformation

John Lewis-Stempel
Das geheime Leben der Eule
aus dem Englischen von Sofia Blind
112 Seiten, gebundene Ausgabe
DuMont Buchverlag, Köln
ISBN 978-3-8321-8207-6
mit einem Verzeichnis deutscher und internationaler Eulenschutz-Organisationen

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„Sprechen lernen“ – Hilary Mantel erzählt Erinnerungen

„Die Geschichte meiner Kindheit ist ein komplizierter Satz, den ich ständig zu beenden versuche.“ Hilary Mantel

„Die Geschichte meiner Kindheit ist ein komplizierter Satz, den ich ständig zu beenden versuche.“ Hilary Mantel

Zum ersten Todestag der britischen Schriftstellerin Hilary Mantel am 22. September 2023 hat der Dumont Verlag das Buch „Sprechen lernen“ der zweifachen Booker-Preisträgerin herausgeben. Auf Englisch erschien dieser Band bereits vor 20 Jahren. Wer bisher nur die historischen Romane von Hilary Mantel kennt, wird die sprachlich brillante Erzählerin noch einmal neu entdecken.

Sechs Erzählungen

Hilary Mantel beschreibt in sechs Erzählungen mit sechs verschiedenen Protagonisten das kindliche und jugendliche Erleben ihres Alltags. Als quasi siebte Erzählung ist ein Ausschnitt ihrer Autobiografie „Von Geist und Geistern“ angehängt.

Kindheiten in England während der 50er und 60er Jahre

Alle Erzählungen spielen im Nordwesten Englands der 50er und 60er Jahre. Es sind Leben in prekären Verhältnissen, in denen die vernachlässigten, kindlichen Ich-Erzähler, Jungs und Mädchen, von ihren Wahrnehmungen erzählen. Es geht um das Anderssein der eigenen Familie, wechselnde Bezugspersonen, die Qualen der Schulzeit, den Tratsch und die Kontrolle durch die Nachbarschaft:

„Die Kinder hatten dem Klatsch ihrer Eltern gelauscht. Sie stellten mir, besonders die Mädchen, bohrende Fragen nach den Schlafmodalitäten in unserem Haus. Ich sah nicht, was die Fragen sollten, war aber dennoch nicht so dumm, sie zu beantworten.“

Die Inhalte sind oft tough und bedrückend, aber die kindliche Wahrnehmung berührt einen durch ihre natürliche Leichtigkeit immer wieder. Ob es die falsche Religion ist (eine irisch-katholische Familie im anglikanischen Umfeld) oder die Mutter, die ihren Liebhaber ins Haus holt, das Verschwinden des Vaters oder der mühsame Versuch, für eine Abschlussprüfung den eigenen Dialekt abzulegen und neu sprechen zu lernen: immer haben die Kinder das Gefühl, dass mit ihnen etwas nicht stimmt, egal, wie sich bemühen.

„Schon mit vier Jahren hatte ich angefangen zu glauben, etwas Falsches getan zu haben. Da gab es eine grundlegende Sünde, an die das Beichten nicht rühren konnte. Da war etwas in mir, das sich nicht in Ordnung bringen ließ und für das es keine Erlösung gab.“

Gefühle der Kindheit

Die Autorin weckt mit der Betrachtung einzelner Details bekannte Gefühle aus der Kindheit: das Leiden, weil man Außenseiter ist, die ständige Verwirrung wegen fehlender Fähigkeit, Dinge und Gesagtes einordnen zu können, das Gefühl realer Bedrohungen sowie die Qualen durch nicht zu bändigende Ängste. Dabei sind der Autorin die Fragen, die sich für ein Kind stellen, wichtiger als die (späteren) Antworten, die man im Laufe eines Lebens vermeintlich findet:

„Erst später, als ich auszog, verstand ich die unbeschwerte Sorglosigkeit eines durchschnittlichen Lebens – wie frei die Leute reden, wie frei sie leben. Sie haben keine Geheimnisse, da ist kein Gift an der Wurzel. Ich lernte Menschen mit einer Unschuld und Offenheit kennen, wie sie meiner eigenen Natur fremd waren.“

Hilary Mantel, Sprechen lernenMan ist als Leser immer wieder versucht, die sechs Erzählungen von „Sprechen lernen“ als sechs Kapitel einer Geschichte zu lesen, da alle Erzählungen mit dem Leben von Hilary Mantel (6. Juli 1952 – 22. September 2022) verwoben sind. Im Vorwort gibt Hilary Mantel Erklärungen hierzu. Die zweimalige Trägerin des renommmierten Booker Prize nennt ihre Erzählungen „nicht autobiografisch, sondern autoskopisch“. Es geht ihr nicht um die getreue Wiedergabe ihres eigenen Lebens, sondern um die ganz genaue (mikroskopische) Betrachtung ihr wichtiger Details, die sie in einzelnen Erzählungen literarisch besser herausgearbeitet sieht.

So sagt die Autorin denn auch: „Die Geschichte meiner Kindheit ist ein komplizierter Satz, den ich ständig zu beenden versuche.“

Dieser Erzählband ist eine anpruchsvolle, aber lohnende Lektüre!

CK I NK

Buchinformation

Hilary Mantel
Sprechen lernen. Erzählungen
Übersetzung: Werner Löcher-Lawrence
160 Seiten, gebunden, Dumont-Verlag, 2023
IISBN: 978-3-8321-6816-2

Einen ausführlichen Nachruf in englischer Sprache kann man hier im Guardian nachlesen.

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Kein schöner Land (4): Exzellenz auf Abwegen

„Wegeleitsytem“ bei den Naturwissenschaften, Morgenstelle, Universität Tübingen

„Wegeleitsytem“ bei den Naturwissenschaften, Morgenstelle, Universität Tübingen

Exzellenz auf typographischen Abwegen

Vor ein paar Tagen musste ich ein Fachbuch in der Unibibliothek der Universität Tübingen im Hörsaalzentrum Morgenstelle abgeben. Dort oben auf dem Berg von Tübingen sind die Naturwissenschaften zuhause. Und da ist mir dieser typgraphische Auswuchs eines Wegeleitsystems vor die Linse gekommen. Für einen Moment war ich sprachlos. Kaum zu glauben, dass sich eine Hochschule, in der man die Worte „Exzellenzuniversität“ und „Drittmittelantrag“ zu jeder Tag- und Nachtzeit in allen Sprachen der Welt rauf- und runterbuchstabieren kann, so eine Hässlichkeit leistet.

Der große Gestalter, Typograph und Autor Erik Spiekermann hat in dem Buch „Hallo, ich bin Erik“ auf die Bemerkung, dass Schrift am Ende doch funktional sein müsse, dieses geantwortet:

„Die Schönheit selbst ist ja eine Funktion. Schönheit ist nicht funktionsfrei. Banal gesagt, braucht man Schönheit. Hässlichkeit verkauft sich schlecht.“

Erik Spiekermann, Jahrgang 1940, hat unter anderem die Schriften FF Meta und FF Officina entworfen, die schon heute als Klassiker gelten. Neben vielen anderen Projekten hat er das Fahrgastinformationssystem der Berliner Verkehrsbetriebe entwickelt, das Wegeleitsystem des Flughafen Düsseldorf und das Erscheinungsbild der Stadt Glasgow als UK City of Architecture and Design.

Das Buch „Hallo, ich bin Erik“ sollte ganz dringend in den Bestand der Unibibliothek Tübingen aufgenommen werden.

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Buchinformation

Hallo, ich bin Erik. Erik Spiekermann: Schriftgestalter, Designer, Unternehmer
Herausgeber: Johannes Erler
Gestalten Verlag, Berlin 2014
ISBN: 978-3-89955-527-1

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Leonard und Paul – Feelgoodbuch aus Irland

Wie viel sollte man von der Welt in sein Leben lassen? Auch darum geht’s in „Leonard und Paul“

Wie viel sollte man von der Welt in sein Leben lassen? Auch darum geht’s in „Leonard und Paul“

Ich erinnere mich an eine Diskussion in unserem Lesezirkel, bei der es darum ging, wie originell ein Leben sein sollte, um (aufgeschrieben und dann) gelesen zu werden. Ich habe, weil wir so unterschiedlicher Meinung waren, hinterher recherchiert, ob die Originalität eines Textes eine Bedingung für die Bezeichnung als Literatur ist. Literatur natürlich im engeren Sinn als schöngeistiges Schrifttum verstanden. Tatsächlich ist die Originalität ein Kriterium neben vielen anderen wie z. B. Stimmigkeit, Expressivität durch sprachliche Stilmittel, Komplexität, Ambiguität oder Grenzüberschreitung. In der Regel werden von vielen literarischen Texten aber nicht alle Kriterien (gleichermaßen) erfüllt, und zwar ohne dass ihnen gleich ihr litarischer Wert abgesprochen wird.

Vielleicht ist unsere Diskussion damals auch in die verkehrte Richtung gelaufen, weil nicht (unbedingt) der Romanstoff selbst, also das Was, sondern vielmehr (auch) die Betrachtungs- und Darstellungsweise, also das Wie, originell sein kann.

Leonard und Paul

So gesehen würde ich dem Debütroman des Iren Rónán Hession (48) „Leonard und Paul“ eindeutig Originalität bescheinigen. Der im Eigenverlag Woywod & Meurer erschienene Roman erzählt von zwei besten Freunden, Leonard und Paul, die beide Anfang der 30 sind. Beide Männer entsprechen zunächst so gar nicht dem Klischee einer interessanten Hauptfigur, sondern eher ihrem Gegenteil: beide sind schüchtern, introvertiert, sanftmütig und freundlich, aber eher antriebslos. Paul lebt noch bei seinen Eltern, Leonard trauert um seine kürzlich verstorbene Mutter. Auch in ihrer Berufstätigkeit ist zunächst kein Glanz zu erkennen: Leonard ist als Ghostwriter für Kinderenzyklopädien in einem Verlag tätig, und Paul arbeitet gelegentlich als Aushilfspostbote. Und was tun die Freunde, wenn sie sich treffen? Sie spielen Gesellschaftsspiele! Wer sich also vom Romanstoff selbst, dem Was, leiten lässt, der braucht diesen Roman nicht lesen. Allen anderen Lesern, denen das Wie das Wichtige ist, sei dieser Roman jedoch wärmstens empfohlen!

Die Nebenstraßen des Lebens

Wie interessant die Betrachtung der Nebenstraßen des Lebens sein kann und dass diese Nebenstraßen mit unserem eigenen Leben viel mehr zu tun haben als die Wege und Aufgaben der großen Romanhelden, zeigt sich in den vielen unscheinbaren, und doch so klugen Sätzen wie:

… aber die Kunst besteht darin, genau zu erkennen, wie viel von der Welt man in sein Leben lassen kann, ohne davon überwältigt zu werden.

oder:

Geduld gehörte zu seinen (Pauls) Stärken. Geduldig sein hieß, den Dingen ihren Lauf zu lassen und darauf zu vertrauen, dass sich die Dinge ergaben, wie sie sollten, nicht, weil man es so wollte, sondern weil es der natürlichen Ordnung entsprach.

Dass in der Zurückgezogenheit in das Private und in ein paar wenige innige Beziehungen jedoch auch eine Gefahr lauern kann, erkennt Leonard, als er sich für eine Frau ernsthaft zu interessieren beginnt, und dies zu Missverständnissen zwischen den Freunden führt:

Alleinsein und Frieden sind nichts Besonderes mehr, wenn sie keinen Gegenpol haben. In einem hektischen – oder zumindest hektischeren – Alltag bietet die stille Reflexion dem Erleben einen Resonanzraum. Aber das Leben absichtlich vom Erleben abzukoppeln und sich vor seinen Realitäten zu verstecken, nein, das war nichts Besonderes. Das war einfach eine Form der Angst, die zur lebensbeschränkenden Einsamkeit führte, die immer weiter anwuchs, bis sie so groß war, dass sie die Haustür blockierte, Gespräche erstickte und sich wie eine Schallschutzscheibe vor die anderen schob.

Beziehungen sind nie ohne Reibung

Neben Leonard und Paul lernen wir auch noch Pauls Familie kennen, seine sympathischen Eltern, Peter und Helen, und die Schwester Grace, die dabei ist, ihre Hochzeit neben einer fordernden Berufstätigkeit vorzubereiten. Grace ist die Figur, die sicher am meisten dem heutigen Bild eines erfolgreichen Menschen entspricht und die in gewisser Weise einen Gegenpol zu ihrem Bruder bildet. Und natürlich geht es auch in einem von Freundlichkeit und Sanftmut geprägten Umgang nicht ohne Reibung einher. Vielleicht ist es sogar gerade der Umgang mit Kränkungen, der diese Charaktere alle so besonders macht, dass man sie nicht mehr missen möchte.

Humorvoll, witzig, warmherzig

Ähnlich wie in dem von uns besprochenen Roman „Dagegen die Elefanten!“ von Dagmar Leupold betrachtet auch der irische Autor Hession seine Figuren immer liebevoll, auch wenn sie sich aus eigener Sicht lächerlich gemacht haben. Urkomisch ist die Szene mit Paul, der sich im Supermarkt über das abgelaufene Haltbarkeitsdatum einer Pralinendose beschwert.

Dass dieses warmherzige, schön übersetzte Buch zum Liebling der Buchhändler*Innen aus Irland und England wurde, können wir absolut nachempfinden! Dieses Buch ist wohltuend wie ein guter heißer irischer Tee an einem regnerischen Tag draußen an der irischen Westküste.

CK I NK

Leonard und Paul, Ein FeelgoodbuchPS: Das Buch erscheint in Deutschland in einem bis dato unbekannten Verlag, da Rónán Hession, der in Irland auch als Musiker erfolgreich ist, das Buch unbedingt in einem Independent Verlag veröffentlicht haben wollte und nicht bei einem der großen Publikumsverlage. Also haben Frauke Meurer und Torsten Woywood flugs ihren eigenen Verlag gegründet und gemeinsam mit der erfahrenen Übersetzerin Andrea O’Brien das Projekt gestemmt. Der Einsatz hat sich ausgezahlt. Auch deutsche Leserinnen und Leser lieben dieses Feelgoodbuch!

Buchinformation

Rónán Hession
Leonard und Paul
aus dem Irischen English von Andrea O’Brien
WOYWOD & MEURER (Imprint Torsten Woywod Verlag)
ISBN-13: 978-3-00-073756-5

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