DIE MÜHEN DER EBENEN
Die Stürme werden stärker
die Sommer heißer
der Menschen mehr
der Unmenschen auch
das Elend größer
die Hoffnungen kleiner
die Zukunft wilder
wie Pythia weissagte
den Rauch aus der Erdspalte
inhalierend trotz
der Lungenkrebswarnung.
Angestrengt
verhelfen wir ihren Prophezeiungen
zur Wirklichkeit.
Günter Kunert (1929 – 2019)
„Dieser Dichter versteht sich exemplarisch als Augenzeuge großer wie kleiner Menschheitsdramen und als Stenograph unserer Katastrophen“, schrieb der Kritiker Hubert Spiegel in der FAZ über Günter Kunerts letzten Gedichtband „Zu Gast im Labyrinth“, der 2019 bei Hanser erschienen ist. Als pessimistischer Chronist sieht Kunert wenig Grund zur Hoffnung, tragen wir doch mit unserem gedanken- und rücksichtlosen Handeln dazu bei, dass Pythia, die weissagende Priesterin im Orakel von Delphi, Recht behält mit ihren dunklen Ahnungen.
Was Gunter Kunert wohl zum Trump-Urteil des Supreme Court diese Woche gedichtet hätte oder zu den Unwetterkatastrophen, von denen gerade eine die nächste jagt? Und was hätte er, dessen Familie von den Nazis verfolgt und zum Teil ermordert wurde, zum dramatischen Rechtsruck in Europa gesagt?
NK | CK
Buchinformation
Günter Kunert
Zu Gast im Labyrinth
Hanser Verlag, München
Fester Einband, 112 Seiten
ISBN 978-3-446-26463-2