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Kafka tanzt in Tübingen

Verletzlich, abgründig, sensibel, humorvoll. Kafka-Porträt von Danièle Kern.

Verletzlich, abgründig, sensibel, humorvoll. Kafka-Porträt von Danièle Kern.

Am 3. Juni 1924 ist Franz Kafka gestorben. Anlässlich seines 100. Todesjahres in diesem Jahr gab es in Tübingen bereits ein paar bemerkens- und sehenswerte Veranstaltungen im Rahmen des Kafka-Festivals Kafka lächelt des Tübinger Tanztheaters Treibhaus, wie z. B. die Ausstellung Kafka Prozesse & Verwandlungen des Künstlerbunds Tübingen e.V..

Zum Ende dieses Kafka-Jahres möchten wir jetzt aber auf ein echtes Highlight hinweisen: Zwischen Kampf und Angst heißt das Tanztheater des Tübinger Zentrums für zeitgenössischen und modernen Tanz von Olatz Arabaolaza. An drei Abenden im November und im Dezember (Termine s.u.) wird Franz Kafka in Tübingen zum Tanzen gebracht.

Tanztheater: Zwischen Kampf und Angst

Wer sich in irgendeinerweise für Kafka interessiert (oder auch vielleicht den Zugang zu Kafka noch nicht gefunden hat), der sollte sich dieses Ereignis nicht entgehen lassen. Denn ausgehend von Kafkas Brief an den Vater ist hier eine ganz außerordentliche Inszenierung gelungen.

In zwei Tänzern und zwei Tänzerinnen, die das Stück interpretieren, begegnen wir zunächst dem kindlichen Kafka, dann dem Jugendlichen, der in den Büchern Trost und Orientierung sucht. Mit den Büchern lernt Kafkas Geist fliegen. Wir sehen den jungen Erwachsenen, den stets kritischen, sensiblen Beobachter seines Umfeldes, aber auch seiner selbst. Wir erkennen den Prager Schriftsteller, der im Schreiben Halt, aber auch neue Hürden findet.

Beim Tanz über den Büchern erscheint das Leben oft wie ein diffiziler Balanceakt, wer kennt dieses Gefühl nicht aus dem eigenen Leben? Vor allem aber leiden wir mit Kafka, dessen Beziehung zum Vater so ungeklärt und furchtbar schwierig war.

Die wenigen Requisiten der Aufführung werden gekonnt in Szene gesetzt und sind dabei wandlungsfähig: so ist zum Beispiel der Anzug einerseits Symbol für Kafkas Anstellung als Jurist in einer Versicherung, er wird in einer anderen Szene jedoch zur Zwangsjacke, die deutlich macht, wie schwer Kafka die Anpassung an gesellschaftliche Konventionen fiel. Die Bücher werden im Verlauf zu Trittmarken im Wasser des Lebens, über die Kafka seine Aktenberge tragen muss.

Äußere Erwartungen und inneres Widerstreben

Äußere Erwartungen und inneres Widerstreben quälen Kafkas Geist und verfolgen ihn bis in die Träume hinein. Längst hat er den Vater als ständigen Richter seiner selbst verinnerlicht. Und doch gibt es manche Szenen, in denen auch Leichtigkeit aufkommt und Kafkas Sinn für Komik aufblitzt. Kafka komisch?, wird sich so mancher fragen, der Kafkas Werke vielleicht bisher eher als Zumutung empfunden hat. Ja, Kafkas Texte können komisch sein! Edgar Selge hat es in seinem SZ-Artikel über Kafka vom 10. Mai 2024, finden wir, treffend analysiert: »Komik entsteht durch Genauigkeit, genauer gesagt: durch unangemessene Genauigkeit.«

Wird Kafka schließlich zur Marionette des Vaters? Gibt er den inneren Widerstand auf? Da knallen die Bücher!

Manchmal passiert so viel auf der Bühne, dass man gar nicht weiß, wo hinschauen. Und auch das ist sicherlich ein Gefühl, was wir aus unserem Alltag kennen. Auch Kafka erscheint uns müde, überreizt, ja geradezu erschöpft von den vielen Eindrücken und dem unablässigen inneren Monolog, den er nicht abgestellt bekommt.

Von Franz Kafka stammt übrigens der Satz: Manches Buch wirkt wie ein Schlüssel zu fremden Sälen des eigenen Schlosses. Vielleicht kann eine Tanzinszenierung Ähnliches bewirken. Von uns ein ganz großes Kompliment an Olatz Arabaolaza und ihre vier TänzerInnen! Und ein großes Danke, dass wir bei einer Probe dabeisein durften.

CK | NK

Termine

Sonntag, 3. November 2024, 19:30 Uhr im Leer_raum in der Stiftskirche, Abendkasse: 22 Euro. Tickets Abendkasse.

Samstag, den 7. und Sonntag, den 8. Dezember 2024, jeweils 20:00 Uhr im Tanzlokal Boccanegra, Provenceweg 22 in Tübingen, Abendkasse.
Tickets online für den 7. Dezember buchen
Tickets online für den 8. Dezember buchen

Am 23. November, 20.00 Uhr gibt der renommierte Kafka-Biograph Reiner Stach eine Lesung zu Kafkas Komik. Infos hier.

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