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Freitagsfoto: Fatalismus unterm Birnbaum

Angesichts der täglichen Birnenflut hilft Demut und positiver Fatalismus. Foto: Norbert Kraas

Angesichts der täglichen Birnenflut hilft Demut und positiver Fatalismus. Foto: Norbert Kraas

Es ist jeden Tag dasselbe. Man steht auf, wirft einen Blick in den Garten und glaubt es kaum: Obst, wohin man schaut in diesem Jahr. Mal sind es Zwetschgen, mal Äpfel, mal Mirabellen. Bei uns sind es die Birnen, tausende kleine Birnen, die unser mächtiger, alter Birnbaum seit Wochen abwirft. Am Anfang waren sie eher hart und säuerlich, jetzt sind sie weich und süß. Als Saft schmecken sie köstlich, aber den herzustellen, macht natürlich Arbeit. Bisweilen treiben die Birnen mich an den Rand der Verzweiflung, ja sie stellen mich auf die Probe. „Es hilft nichts“, sagt meine kluge Frau dann, wenn ich beim täglichen Birnenaufsammeln zu klagen und zu meckern anfange, und fügt hinzu: „es muss doch eh getan werden.“ Eine sehr weise Haltung, wie mir nach der Lektüre des Buches „Lob des Fatalismus“ von Matthias Dobrinski klar wurde:

Um es gleich vorweg zu sagen: Dieses Buch ist kein Ratgeber.“

So schreibt der Autor in seinem neuen Buch „Lob des Fatalismus“. Dobrinski, seit 1977 Journalist bei der Süddeutschen Zeitung, mag keine Ratgeber, die vorgeben, alles zu wissen, und die uns suggerieren, man könne sein Leben zu hundert Prozent im Griff haben. Dieser Einstieg macht den Autor schon mal sympathisch. Ratgeber, die alles wissen, gibt es meterweise in den Buchhandlungen, gerne stehen in ihrer Nähe Rosenquarze, Bergkristalle und Duftkerzen.

Fatalismus kommt von Schicksal

Wir haben „Lob des Fatalismus“ ohne Kristalle und ohne Kerzenduft, dafür bei gutem Licht und mit viel Neugier gelesen. Um es vorweg zu sagen, es hat sich gelohnt! Dobrinskis Buch ist ein unterhaltsamer Essay, eine abwägende Annäherung an den Begriff des Fatalismus. Und dieser hat gerade heute, wo alles mach- und optimierbar erscheint, keinen guten Ruf.

Fatalismus kommt von Lateinisch fatum, Schicksal. Ein Fatalist ist demnach einer, der sich dem unausweichlichen Schicksal ohne Gegenwehr ergibt: manchmal zynisch, manchmal resignativ. So einen Fatalismus möchte Dobrinski nicht. Er ist eher dem Fatalismus des Sowjetspion Rudolf Iwanowitch Abel zugeneigt, wie er auf den ersten Seiten schreibt. Steven Spielberg hat diesem Spion, der 1957 in den USA enttarnt wurde, ein sehenswertes filmisches Denkmal gesetzt. Abel drohte in den USA die Todesstrafe, und er verdankte sein Leben dem Anwalt Jamens P. Donovan (gespielt von Tom Hanks). Dobrinski zeigt am Beispiel Abels auf, dass dieser in seiner ausweglosen Lage, bedroht von der Todesstrafe, nicht ins Grübeln verfällt. Auf Nachfrage, warum er sich nicht quält, antwortet Abel: Would it help? Er möchte sich nicht von seinen Sorgen permanent beherrschen lassen, sondern entscheidet sich für eine, wie Dobrinski schreibt, subversive Haltung, die sich dem Unausweichlichen beugt und doch das Eigene bewahrt.

„Dieser Fatalisumus schafft Abstand. Er verkleinert das Übermächtige, wie das auch der Humor tut. Humor und Fatalismus treten oft als Geschwister auf. Was soll man tun, wenn es regnet? Es regnen lassen. Und über den Regen lachen.“

Nach diesem filmisch-historischen Einstieg nähert sich der Autor dem Fatalismus von der philosophischen Seite aus an. Über Platon, Aristoteles, die Stoiker, Augustinus und Luther gelangt Dobrinski zu Spinoza. Mit diesem niederländischen Philosophen geraten die Fatalisten im 17. Jahrhundert in die Defensive, denn Spinoza vertrat die Meinung, es gäbe keine Willensfreiheit. Folglich hat auch der Untertan ruhig zu halten und still zu leiden. Eine fatale Schicksalsergebenheit, die Dobrinski nicht gutheißt. Ebenso wenig wie den biologistischen Determinismus, vertreten von Neurowissenschaftlern, denen alles nur chemische Reaktion im Menschen ist. Dobrinski hält dagegen und

„findet, dass es nicht egal ist, was einer tut oder lässt. Er hält Resignation gegenüber der Ungerechtigkeit der Welt oder dem Klimawandel für die falsche Option und meint, dass alles, was jemand an Gutem tut, nicht ohne Sinn ist und in irgendeiner Weise die Welt ändert.“

Schicksalsgestaltung und Schicksalsergebung

Dobrinski geht es um die „Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen Schicksalsgestaltung und Schicksalsergebung“. Sprich: Dinge, die man ändern kann, solle man versuchen zu ändern. Dinge, die man nicht ändern kann, solle man versuchen zu akzeptieren, wie sie sind. Natürlich klingt das leichter, als es ist, weshalb der Autor auch für eine Einübung eines aufgeklärten Fatalismus plädiert. Denn gerade dann, wenn das Leben eine unvorhersehbare Wendung nimmt, zum Beispiel in Form einer Krankheit oder einer Katastrophe, kann es hilfreich sein, wenn wir Übung im Akzeptieren des Unabänderlichen haben. Für Dobrinski bringt es der amerikanische Theologe Reinhold Niebuhr in seinem Gelassenheitsgebet auf den Punkt:

„Gott, gibt mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“

Das ist tröstlich, ob man nun an Gott glaubt oder nicht. Denn zu dieser Haltung schreibt Dobrinski „gehört untrennbar die Hoffnung, dass die Grenzen des eigenen Horizonts und des eigenen Begreifens nicht die Grenzen der Welt sind, dass es immer mehr Möglichkeiten gibt, als man denken kann, ganz abgesehen von den Möglichkeiten höherer Kräfte, von den Möglichkeiten Gottes mit den Menschen.“

Schluss mit der permanenten Selbstoptimierung

Für Dobrinski weist der Fatalismus damit über unser eigenes kleines Menschenleben hinaus. Er plädiert dafür, sich von „Allmachts-, Kontroll- und Wahrsagephantasien zu befreien und davon, das Leben immer im Griff haben zu müssen.“ Für den Autor befreit uns der aufgeklärte, reflektierte Fatalismus von der Pest der permamenten Glücksuche und Selbstoptimierung.

„Es steht ein Egoismus hinter dieser Selbstoptimierungsideologie, der zum Fürchten ist. Die anderen sind die Mitbewerber und Konkurrenten im lebenslangen Rennen um den optimalen Platz im Leben.“

Schritte, Kalorien, Freunde, Länder, Stufen auf der Karriereleiter – alles wird gezählt und in Echtzeit gepostet. Damit’s ja jeder sieht und möglichst viele vor Neid und Bewunderung erblassen und Sternchen geben. Das klingt ganz schön anstrengend.

Zum Menschsein gehört das Unvollständige

Für Dobrinski ist der wohlverstandene Fatalismus das Gegenprogramm zum perfektionistischen Optimierungswahn. Für ihn gehört „zum Menschsein das Imperfekte und Unvollständige, das Eigentümliche und auch das Abgründige.“ Wie man diese Haltung des positiven Fatalismus leben kann, erläutert Dobrinski mit eindrücklichen Beispielen von Menschen, die eben diese Haltung leben. Fatalismus, schreibt der Autor, erhöht sowohl unsere Fähigkeit mit Schicksalschlägen umzugehen, als auch mit Glück. Wir sollten versuchen beides, das Glück und den Schicksalsschlag, etwas niedriger zu hängen. Gerne auch mit Hilfe von einer guten Portion Humor.

Dobrinski ist bei der SZ zuständig für Religionen und Kirchen. Im letzten Kapitel seines Buchs befasst er sich daher auch mit Gott und dem Glauben. Er kommt zu dem überraschenden Schluss, dass wir uns um die irritierende Seite Gottes kümmern sollten. Gerade heute, in diesen unsicheren Zeiten. Der Autor empfiehlt seinen Lesern, nicht denen Glauben zu schenken, die uns weißmachen wollen, sie hätten die Wahrheit gepachet und wüssten, die Welt zu erklären. Damit sind dogmatische Hardliner innerhalb der Religionsgemeinschaften gemeint, aber auch „jene Dogmatiker des Kapitalismus, die die Herrschaft des Geldes religiös überhöhen.“

Sehr lesenswert

Matthias Dobrinski hat ein kluges, schmales Buch geschrieben, dessen Einsichten befreiend sind und zum Nachdenken und Überdenken der eigenen Haltung anregen. Dieser Essay kommt auf seinen 132 Seiten weder besserwisserisch noch akademisch geschwollen daher. Daher sei der Rat gestattet: Lest dieses gut geschriebene „Lob des Fatalismus“.

NK/CN

Buchinformation

Matthias Dobrinski
Lob des Fatalismus
Claudius Verlag, München, 2018
ISBN: 978-3-532-62811-9

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