Die Boote fahren nicht mehr aus 1/3
Die Old Lady hat angelegt! Es passiert nicht oft, dass in Tübingens Altstadt Schiffe vor Anker gehen, ich meine richtige Schiffe. Normalerweise haben wir es hier mit einer Handvoll Tret- und Ruderbooten zu tun, die von mutigen Landratten auf einem trägen Neckar bewegt werden.
Ein guter Grund also, sich die aktuelle Ausstellung von Ava Smitmans in der Galerie Künstlerbund und im Café Hanseatica anzuschauen. Zu sehen sind noch bis zum 28. April Bilder, Raum- und Klanginstallationen, die allesamt mit einem ausgedienten Stückgutfrachter zu tun haben, das mit dem schönen Namen Old Lady wieder in Hamburg einlief und ursprünglich auf den Namen Bleichen getauft wurde. Die in Tübingen geborene Künstlerin, die lange in Hamburg gelebt hat, zeigt uns dieses ausrangierte Schiff und das maritime Drumherum in kräftigen Farben und handfesten Installationen, die den Glanz einer besseren Zeit ahnen, gleichzeitig die melancholische Schönheit des Niedergangs aufscheinen lassen.
„Mir wichtige Kleinigkeiten hebe ich gerne hervor, scheinbar unbedeutende Orte, die wenig oder ungern wahrgenommen werden, nehme ich gerne zum Thema. Diese Orte dienen für mich als Anlass, Linien und Flächen, Farben und Formen miteinander sprechen zu lassen und so auch seelische Zustände auszudrücken“, schreibt Ava Smitmans auf ihrer Website.
Wer sich auf ihre Bilder und Installationen einlässt, bekommt eine Ahnung vom Seelenzustand eines Bootes, das nicht mehr ausfahren darf. Also, nehmen Sie sich Zeit und legen Sie an beim Künstlerbund Tübingen. Die Öffnungszeiten: Mittwoch bis Freitag von 15 bis 18 Uhr und Samstag von 11 bis 14 Uhr. Am 28. April findet um 12 Uhr die Schiffverabschiedung (Finissage) statt.
Die Boote fahren nicht mehr aus 2/3
Dieser lakonische Satz kam mir während des Besuchs der Ausstellung in den Kopf. „Die Boote fahren nicht mehr aus. Bericht eines irischen Fischers“ ist der Titel der deutschen Übersetzung des Buches „The Islandman“ von Tomás O’Crohan. O’Crohan (1857-1937) lebte auf Great Blasket Island vor der irischen Westküste und beschreibt den Alltag der 150 Inselbewohner ungeschönt mit allen Höhen, Tiefen und Untiefen. Annemarie und Heinrich Böll (erinnert sich noch jemand an diesen großen und zutiefst menschlichen Schriftsteller?) lassen uns in ihrer guten Übersetzung teilhaben am Glück und Unglück der Fischer und ihren Familien, an ihren Festen, an ihrem Hunger, an ihrer Freude, wenn ein Schiff vor der Küste kenterte, und Wind und Wellen brauchbares Strandgut anspülten. Es ist eine Welt, die längst untergegangen ist, die es so nicht mehr gibt, und in der die Boote schon lange nicht mehr ausfahren. Wenn Sie die Ausstellung gesehen haben und demnächst ans Meer, gar nach Irland fahren, packen Sie das Buch ein.
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