Dich will ich loben, Hässliches,
Du hast so was Verlässliches.
Robert Gernhardt beginnt mit diesen Zeilen sein Gedicht „Nachdem er durch Metzingen gegangen war“ (Gesammelte Gedichte, Seite 274, S. Fischer Verlag, 2006). Das Gedicht ist vor vielen Jahren nach einem Spaziergang durch die Mutter aller Outletstädte entstanden. Es würde heute noch auf viele Klein- und Großstädte sowie Dörfer passen. Abseits der glitzernden oder bisweilen kitschig herausgeputzten Vorderseite hat wohl jede Stadt, jedes Dorf ein paar weniger schöne Kehrseiten zu bieten. Vor allem in Regionen, in denen in den letzten Jahrzehnten ganze Industrien zusammengebrochen und Arbeitsplätze und Steuereinnahmen abhanden gekommen sind.
Bordélique ist nicht hässlich
Im Französischen gibt es das Adjektiv „bordélique“, was so viel wie chaotisch oder schlampig bedeutet und weniger drastisch und abwertend als das Wort ,hässlich‘ klingt. In der Beschreibung bordélique kann auch wohlwollende Sympathie mitschwingen.
Die Tübinger Künstlerin Ava Smitmans beschäftigt sich in ihrer Arbeit seit vielen Jahren mit städtischen Orten, die ab vom Schuss liegen, nicht mehr beachtet werden, langsam verwahrlosen oder von Verfall und Abriss bedroht sind. Das können Häuserzeilen sein, alte Fabrikgebäude, Zapfsäulen, Bahnübergänge oder auch ein alter, zum Ziegenstall umfunktionierter Bus. Ava Smitmans Blick auf diese Alltagsdinge ist nie zynisch, sondern immer emphatisch, ja geradezu liebevoll. Es gelingt ihr, mit ihren Gemälden, Collagen, Zeichnungen und Objekten die Geschichte von Dingen herauszuarbeiten, seien es ein Betonmischwerk, ein Bahnübergang oder ein Elektrowarenladen. Sie setzt den bedrohten, manchmal tristen, bisweilen auch hässlichen Orten und Ecken kleine, farbenfrohe Denkmäler und macht so Kunst- und Kulturgeschichte lebendig.
230 Kunstwerke, 9 Orte: AlbStadtAlb ist ein visueller Genuss
Ein ganz besonderes Kunstprojekt in Ava Smitmans Schaffen ist AlbStadtAlb. Länger als ein Jahr hat Ava Smitmans in den neun Teilorten Albstadts bei netten, privaten Quartiergebern gewohnt und dabei rund 230 Kunstwerke geschaffen. Die Gemälde, Zeichnungen und Collagen zeigen die unterschiedlichsten Facetten von Tailfingen, Truchtelfingen, Ebingen, Lautlingen, Laufen an der Eyach, Margrethausen, Burgfelden, Pfeffingen und Onstmettingen. Diese Arbeiten als sehenwert zu bezeichnen, wäre ein unzulässige Untertreibung. Es gab bei ihrer Vernissage wohl keinen Besucher, der nicht von der Feinfühligkeit ihrer Bilder berührt war. Ihre Phantasie, mit der Ava Smitmans ihre Malerei oft mit allerlei Material, wie z. B. Kartonagen, Holz, Pappe oder Gitterdrähten, zu dreidimensional wirkenden Werken macht, ist ein Genuss und wirkt inspirierend. Parallel zu ihrer eigentlichen Arbeit hat Ava Smitmans ihre Eindrücke und Erlebnisse in einem sehr lesenwerten, von der Kuratorin Jeannette Brabenetz initiierten Blog festgehalten:
„Ich bemühe mich in der Zeit, die ich hier bin, eine kurze Zeitspanne der Stadtgeschichte in meinen Bildern festzuhalten. Dazu gehört auch Leerstehendes, Brachliegendes, Fabrikgebäude mit ungewisser Zukunft, Villen, die verfallen. Bilder leerstehender Gewerberäume zeugen von vergangenen Hoffnungen und Lebensplänen und deren Sterben, lassen die Geschäftigkeit der Menschen, die dort arbeiteten und die sie besuchten, erahnen, wecken Erinnerungen bei den BildbetrachterInnen, stimmen wehmütig, vielleicht nachdenklich. Heute noch lebendige Geschäfte können morgen schon leer stehen. Mir und anderen liebgewordene alte Häuser gibt es womöglich in einem halben Jahr nicht mehr. Das Thema ist ein Anliegen, seit ich mich in meiner Arbeit mit Städten und Orten beschäftige. Hier in Albstadt scheint es mir einmal wieder besonders dringlich.“ (Ava Smitmans, zitiert aus dem Blog Albstadtalb.de, Stand 29.3.2017)
Dieses außergewöhnliche Projekt wurde vom Kunstmuseum Albstadt begleitet und koordiniert. Deren Direktorin Veronika Mertens und die Kuratorin Jeannette Brabenetz haben auch gemeinsam mit Ava Smitmans die Ausstellungen an neun verschiedenen Orten vorbereitet. Ich habe die erste Ausstellung im Kunstmuseum Albstadt gesehen und werde alles daran setzen, möglichst viele der anderen Ausstellungen zu besuchen. Warum? Weil es so ein wunderbares Kunstprojekt quasi vor unserer Haustür ist.
AlbStadtAlb: Die Ausstellungsorte
Kunstmuseum Albstadt, Kirchengraben 11, 72458 Albstadt-Ebingen
Laufzeit bis 21. Mai, Öffnungszeiten: Di-Sa 14-17 Uhr, So und Fei 11-17 Uhr
BeneVit Haus Raichberg, Heinrich-Heine-Straße 7, Albstadt-Onstmettingen, Laufzeit bis 2. Juli, Öffnungszeiten: Mo-So 9-19 Uhr
Maschenmuseum Albstadt, Wasenstraße 10, Albstadt-Tailfingen
Laufzeit bis 2. Juli, Öffnungszeiten: Mi, Sa, So, fei 14-17 Uhr
Grundschule Pfeffingen (Eingang zur Turnhalle), Bergstraße 1, Albstadt-Pfeffingen
Laufzeit bis 21. Mai, Öffnungszeiten: Mo-Fr 8-16 Uhr, sowie Sonntag, 19.3., und samstags, den 25.3. und 8.4. von 15-20 Uhr
MEY GmbH & Co. KG (Eingang zur Ausstellung übers Outlet), Auf Steingen 6, Albstadt-Lautlingen, Laufzeit bis 29. April, Öffnungszeiten: Mo-Fr 9-18 Uhr, Sa 9-16 Uhr (geschlossen am 27.-31. März, 3. und 4. April, 24. und 25. April)
Volksbank Laufen, Balinger Straße 85, Albstadt-Laufen
Laufzeit bis 21. Mai, Öffnungzeiten: Mo, Mi, Do, Fr 8.30-12.15, Di und Do 14-18 Uhr
Ortsamt, Margrethausen, Beim Kloster 5, Albstadt-Margrethausen, Laufzeit bis 21. Mai, Öffnungszeiten: Di, Fr 8.30-11.30 Uhr, Do 15-17.30 Uhr
Alte Schule Burgfelden, Kesselstraße 9 (Öffnungszeiten: So 14-17 Uhr und nach Vereinbarung unter AlteSchuleBurgfelden@gmx.de) &
Bergcafé Burgfelden, Im Gäßle 6, Albstadt-Burgfelden (Öffnungzeiten: Mo, Mi-Sa 14-21 Uhr, So und Fei 10-21 Uhr), Eröffnung am Sonntag, 9. April, 10.30 Uhr (danach, ab ca. 12 Uhr Empfang im Bergcafé), Musik: Wiebe & Doldinger, Laufzeit bis 21. Mai
Das war’s für heute: Auf nach Albstadt!
Danke, lieber Norbert, für Deine Ausstellungskritik & – werbung, da freue ich mich sehr drüber!
Liebe Grüße, Ava
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