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Wie mag’s dem Nachbarn gehn?

Wie mag’s dem Nachbarn gehen?

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Tiefer Herbst.
Mein Nachbar –
wie mag’s ihm gehn?

Bashō | Übersetzung von Dietrich Krusche

Als der große japanische Haiku-Dichter Matsuo Bashō dieses Haiku schrieb, war er bereits schwer krank und sollte sich von dieser Krankheit nicht mehr erholen. Er starb am 28. November 1694 im Alter von nur 50 Jahren.

Der amerikanische Autor und Zen-Lehrer Robert Aitken schreibt in seinem Buch „the river of heaven: The Haiku of Bashō, Buson, Issa and Shiki“, dass Bashō dieses Herbst-Haiku als Grußwort für einen Dichterabend verfasste. Er selbst konnte aufgrund seines sich verschlechternden Gesundheitszustands an diesem Treffen nicht mehr teilnehmen. Aitken betont in seiner Interpretation, dass es dem Dichter in seinem Haiku trotz allem nicht darum ging, von sich oder seiner Krankheit zu schreiben oder gar darüber zu klagen. Dazu war dieser dichtende Wandermönch viel zu bescheiden; sein Lebensziel war es stets, alle persönlichen Interessen an sich selbst aufzugeben. Statt dessen liegt Bashō also auf dem Krankenlager in seiner ärmlichen Hütte und fragt sich, wie es wohl dem Nachbar gehe. Welche Größe, welche Anteilnahme!

Ich will jetzt nicht darüber spekulieren, was uns in diesem Herbst und Winter noch bevorsteht, das machen andere schon genug. Aber wäre es nicht schön, wenn wir uns an einem Dichter, der vor mehr als 300 Jahren gelebt hat, ein Beispiel nähmen? Wenn wir uns einfach öfter mal fragen würden, wie es dem Nachbarn, der Kollegin, der Lehrerin unserer Kinder, dem Regalauffüller im Supermarkt oder dem Paketboten gerade geht?

Passt auf euch und aufeinander auf!

N.K. | C.K.

Buchinformation

Haiku – Japanische Gedichte
Ausgewählt, übersetzt und mit einem Essay herausgegeben von Dietrich Krusche
Deutscher Taschenbuch Verlag, 5. Auflage Februar 1999
ISBN: 978-3423124782

Robert Aitken
the river of heaven. The Haiku of Bashō, Buson, Issa, and Shiki
Counterpoint Press, Berkeley, 2011
ISBN 978-1582437101

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2 Kommentare

  1. Ich war ca. 5 Jahre alt. Mein Vater hatte wohl gerade eine 10. Klasse der Mädchenrealachule „entlassen“. Diese Mädchen hatten sich als Abschiedsgeschenk ausgedacht, meinem Vater ein Ständchen zu bringen. Es war schon dunkel, als sie unter unserem Schlafzimmerfenster „Der Mond ist aufgegangen“ sangen. Ich nahm hellwach, diesen Gesang aus dem Halbschlaf kommend, wahr, wie einen Traum; jedes Wort dieses Liedes nahm ich auf; ganz besonders den Vers, der so endet: „und lasst uns ruhig schlafen, und unseren kranken Nachbarn auch“.
    Wir hatten damals einen schwerkranken Nachbarn in der Wohnung neben uns; und ich stellte mir damals vor, wie er durch dieses Lied gesund werden könnte.
    Seitdem habe ich immer wieder Nachbarn gehabt, die den Trost eines Mondes gebraucht haben / hätten.
    Nicht nur im Herbst

  2. Georges Hartmann 23. Oktober 2020 um 17:33

    Nachbarn … Ich denke an jene Jahre zurück, als ich im letzten Stock eines Hochhauses wohnte. Auf allen Etagen wurde der Zugang zu den Wohneinheiten über einen langgezogenen „Außenbalkon“ realisiert, der auf dem Weg zur eigenen „Bude“ zwangsläufig auch am Küchenfenster anderer Wohneinheiten vorbeiführte, wenn man nicht gerade auf Startplatz 1 wohnte. Links neben mir ein italienisches Paar, rechts von mir eine Alleinstehende aus Serbien, und neben dieser eine über Neunzigjährige, die sowohl ihren Mann als auch zwei Kinder überlebt hatte. Danach eine alleinstehende Witwe usw. Die bunte Mischung und das „dicht an dicht“ bedingte ein mehr oder weniger ausgeprägtes Miteinander. Man tauschte sich aus, sprach miteinander über alles mögliche, nahm Anteil an den Geschicken der anderen und traf sich an so manchem Freitag bei einem Gläschen auf dem „Außenbalkon“, um die Woche ausklingen zu lassen.
    Auf dem Weg in „mein Stockwerk“, oft eingepfercht zwischen anderen Menschen dagegen immer wieder dieses Gefühl, mit völlig fremden Menschen stumm im Fahrstuhl zu stehen und es nur wenige gab, mit denen man im Erdgeschoss beim Warten auf den Lift belanglose Dinge loswerden konnte (das Wetter, die Höhe der Miete, die Hellhörigkeit, (die lag an der stark befahrenen B 8) oder man im schlimmsten Fall auch an den Geräuschen der direkt unter einem liegenden Wohneinheit teilhaben konnte, manchmal auch die Frage nach dem Hausmeister gestellt wurde oder die Situation im Keller oder auf dem Speicher ebenso diskutiert wurde usw. Mit einem Wort: sieben Stockwerke voller Fremde und nur Kenntnis von den unmittelbaren Nachbarn auf derselben Etage. Immerhin denke ich, war dort das Miteinander durchaus ein intaktes, eines, das Anteil an den anderen nahm und man sich auch mit Rat und Tat gegenseitig unterstütze, während die Menschen vom Erdgeschoß bis zum 7. Stock meistens „Fremde“ blieben. Zwei Todesfälle erlebte ich in dieser Phase und erlebte, dass „unsere Etage“ Anteil nahm.
    Großstädte mit vergleichbaren Wohnsilos sind kommunikativ eine Herausforderung. Sympathie, aber auch Abneigungen können das Miteinander erschweren und allenthalben im Einzelfall erleichtern. Jetzt also meine letzte Station auf dem Land, wo ich mit der Gattin in einer Straße, mit 7 Häusern wohne, die jeweils von einer Familie bewohnt sind. Ich bin sozusagen der „Zugereiste“. Der Kontakt zwischen den Familien oder zu weiteren aus den anderen Straßenzügen ist gegeben und vermittelt mir den Eindruck, dass man im „Ernstfall“ nicht allein gelassen wird, was durchaus ein tröstlicher Aspekt sein könnte, aber das Sterben müssen nicht verhindern kann.
    Inwieweit man selbst die „Größe“ von Basho erreichen kann und sein Schicksal (z. B. eine unheilbare Krankheit, mit dem Damoklesschwert des bereits um die Ecke schauenden Lebensende weniger erschreckend empfindet, als das der anderen, bleibt fraglich. Sich in das Unabänderliche zu fügen ist sicherlich eine große Herausforderung, der die wenigsten gewachsen sind. Ich bin in diesem Moment unsicher und überlege, ob die einer Religion angehörigen Menschen da in einer besseren Ausgangsposition sind. Ich grübele über das uns allen beschiedene Ende und spüre wie sich meine Angst mit schneller gehendem Herz zu Wort meldet und es auch kein Trost ist, dass niemand davon verschont bleibt. Immerhin bleibt das Mitgefühl, für alle die man kennt und den letzten Weg bereits gegangen sind.

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