Himmelblaues Klischee
Mehr als 200 Millionen Postkarten befördert die Deutsche Post pro Jahr nach eigenen Angaben, davon über ein Viertel in den Sommermonaten. Ich vermute stark, dass die Mehrzahl dieser Postkarten einen schönen, klischeehaft blauen Himmel zeigen. Warum ist das so? Scheint überall dort, wo Postkarten verkauft werden, jeden Tag die Sonne?! Was ist mit der langen, bleiernen Zeit, wie Friedrich Hölderlin die neblig-düsteren Herbst- und Wintertage genannt hat? Oder liegt es an uns, den Postkartenkäufern? Spiegelt sich in dieser Vorliebe für den blauen Postkartenhimmel etwa das Streben nach perfektionierter Äußerlichkeit, hinter der ein ultimatives Glück vermutet wird? Ein Leben, in dem alles immer großartig und überwältigend und gleichzeitig easygoing sein muss?
Schöne Postkarten
Ist uns eine Postkarte ohne blauen Himmel, dafür mit Nebel zu melancholisch, zu düster? Uns jedenfalls nicht. Deshalb möchte ich Euch/Ihnen heute ein besonderes Projekt vorstellen, ein Projekt das uns am Herzen liegt und Freude bereitet: „Schöne Postkarten“. Wir, Corinna Kern und Norbert Kraas, haben es uns zum Ziel gesetzt, Postkarten zu gestalten, die möglichst weit von den gängigen Postkarten-Klischees entfernt sind. Bisher gibt es 18 gedruckte Motive, die man sich alle auf der Homepage von „Schöne Postkarten“ anschauen kann. Ein Teil davon ist bereits im Handel in Tübingen erhältlich, darunter auch das Motiv vom Hölderlinturm im Nebel oder die Tübinger Neckarhalde. Beide Fotos haben wir an einem ziemlich frostigen Neujahrsmorgen in aller Herrgottsfrühe aufgenommen. Ich weiß nicht, wie’s Euch/Ihnen geht, aber uns hat die melancholiche Atmosphäre schon beim Fotografieren gefangen genommen.
Melancholie
Über die Melancholie schreibt die Wissenschaftsjournalistin Christina Berndt in ihrem Buch „Zufriedenheit – Warum sie lohnender ist als das flüchtige Glück“ (dtv, 2016): „Wer melancholisch ist, ist sensibel für die Welt, er erfährt sie in all ihrer Sinnlichkeit, denkt über das Leben nach und besinnt sich auf sich selbst. Er fördert die Weite seiner Seele und seines Empfindens.“ Ich empfehle das Buch allen, denen die permanente Selbstoptimierung und der Zwang zu Perfektion auf den Keks geht. Statt mit allen Kräften dem Glück hinterherzujagen, empfiehlt uns die promovierte Biochemikerin, uns um die „Stiefschwester des Glücks“ zu kümmern. Gemeint ist die Zufriedenheit, der einzige Zustand in dem man, so Berndt, nachhaltiges Wohlbefinden erreiche. Zur Untermauerung dieser These präsentiert sie gut lesbar jede Menge Forschungsergebnisse unter anderem aus der Neurochemie, Genetik, Soziologie und Psychologie. Glücksgefühle, so lesen wir, sind eher nicht von Dauer und das Glück darüber hinaus „fast immer eine Reaktion auf Reize von außen, es ist damit wenig kalkulierbar und auch nicht so leicht zu beeinflussen.“ Demgegenüber sei die Zufriedenheit eine Sache, die aus dem Inneren kommt. Christina Berndt schreibt :
„Sie [die Zufriedenheit] tritt vor allem dadurch ein, dass man lernt, die kleinen glückseligen Momente im Leben wieder wertzuschätzen und die großen Visionen freundlich aus der Ferne zu betrachten, während man die realisierbaren Träume umzusetzen versucht.“
Das wäre doch mal ein Vorsatz fürs neue Jahr, die großen Visionen freundlich aus der Ferne zu betrachten.
Informationen zum Buch
Christina Berndt: Zufriedenheit – Wie man sie erreicht und warum sie lohnender ist, als das flüchtige Glück, dtv Taschenbuch, 2017, 10,90 Euro, ISBN 978-3-423-34929-1.
Information zu „Schöne Postkarten“
Alle zur Zeit erhältlichen Motive, die Bezugsquellen im Einzelhandel und weitere Informationen zu diesem Projekt gibt’s hier: www.schoenepostkarten.de
Wie wunderbar und wohltuend für die Seele, was Sie da schreiben. Danke Herr Kraas und Frau Kern, die Fotos sind wunderschön.
Ich wünsche Ihnen eine schöne Weihnachtszeit 🌲🌲🌲