Permalink

1

Altes Eisen – WEISSE ROSE

„Die Frage ist nicht, was man betrachtet, sondern was man sieht.“ Henry David Thoreau. Foto: Schrottplatz in Südfrankreich

„Die Frage ist nicht, was man betrachtet, sondern was man sieht.“ Henry David Thoreau.

Vor ein paar Tagen war ich mal wieder im Botanischen Garten der Universität Tübingen und kam auf meinem Rundgang am Denkmal DIE WEISSE ROSE vorbei. Es liegt ein wenig abseits von einem der Hauptwege. Beim Anblick der drei Marmorsteine musste ich daran denken, wie wir den Künstler dieses Epigramms vor vielen Jahren in Südfrankreich zufällig kennengelernt haben.

Altes Eisen

Die meisten Menschen denken beim Stichwort Provence in erster Linie an alte Dörfer, knorrige Olivenbäume, Rosé und leuchtende Lavendelfelder. Seit dem Tag, an dem wir Karl Poralla und seine Frau Gundi in einem provençalischen Dorf abseits der Touristenströme kennengelernt haben, mehr als 20 Jahre ist das jetzt her, denke ich bei Provence immer auch an Schrottplätze und halb verfallene Bauernhöfe.

Denn auf Schrottplätzen und Bauerhöfen rostet viel altes Eisen vor sich hin. Und dieser Eisenschrott war das Objekt von Karl Porallas Begierde. Da konnten ihn weder knurrende Schrottplatzköter noch Verständigungsschwierigkeiten mit misstrauischen Provençalen abhalten. Aber natürlich hat er nicht wahllos rostiges Zeug in den Kofferraum gepackt.

Professor Dr. Karl Poralla, leidenschaftlicher Mikrobiologe mit Faible für altes Eisen

Karl Poralla (30.5.1938 – 21.10.2016): Mikrobiologe mit Faible für altes Eisen

Für den Künstler Karl Poralla, im Hauptberuf Professor für Mikrobiologie an der Universität Tübingen, war schon das Suchen und Finden seines Rohmaterials ein genussvoller, bedeutender Akt. Zurück in Entringen, ging es in der nächsten Phase des künstlerischen Prozesses um die Komposition der einzelnen Eisenteile. Aus einzelnen Teilen ein neues Ganzes werden lassen, dem ein Rest von Geheimnis anhaftet. Darauf kam es ihm an. Zu klar und eindeutig mochte er es nicht.

Ohne Titel. Eisenplastik von Karl Poralla

Ohne Titel. Eisenplastik von Karl Poralla

Eines seiner künstlerischen Vorbilder, der Amerikaner David Smith, der ebenfalls mit altem Eisen arbeitete, legte seine Fundstücke auf dem Boden seines Ateliers aus und schob sie dann immer mal wieder mit dem Fuß hin und her. Bei den Porallas standen die Eisencollagen während ihrer Entstehung nicht selten im Wohnzimmer, so dass Poralla die Wirkung seiner Komposition immer wieder prüfen konnte. Erst wenn er zufrieden war, ließ er die Teile zusammenschweißen.

Zu seiner kreativen Schöpfungskraft kam, wie mir die heute in Wien tätige Galeristin Susanne Padberg vor Jahren schrieb, „eine fast kindliche Unbefangenheit und Begeisterung, die er sich auch durch Rückschläge und Enttäuschungen hat nicht nehmen lassen“.

„Gehalten‟ · Eisenplastik von Karl Poralla

„Gehalten‟ · Eisenplastik von Karl Poralla

Karl Poralla war nicht verbissen, aber beharrlich: als Wissenschaftler, Hochschullehrer und Künstler. Er verfolgte seine künstlerischen Ziele mit Konsequenz und Ernsthaftigkeit, ohne dabei die Leichtigkeit und einen fast spielerischen Zugang zu verlieren. Dies zeigt sich übrigens nicht nur in den Eisenplastiken, sondern auch in seinen in Stein gemeißelten Epigrammen.

DIE WEISSE ROSE

Eines dieser Epigramme steht in Tübingen im Botanischen Garten der Universtität. Ein paar Jahre vor seinem Tod hat Karl Poralla mir einen Text zu diesem Denkmal gegeben.

„Die weiße Rose“ von Karl Poralla, in Stein gemeißeltes Epigramm im Botanischen Garten in Tübingen

„Die weiße Rose“ von Karl Poralla, in Stein gemeißeltes Epigramm im Botanischen Garten in Tübingen

Darin schreibt er, der Anstoß für dieses Projekt sei im August 1989 gewesen, als in Tübingen um die Gestaltung des zentralen Platzes vor dem Hauptgebäude der Universität gestritten wurde. Geschwister-Scholl-Platz heißt der Platz vor der Neuen Aula, und er diente den dort lehrenden Jura-Professoren als Parkplatz. Und so sollte es auch bleiben, meinten die, die dort ihren sicheren Stellplatz hatten. Diese Haltung hat Poralla sehr enttäuscht, und er überlegte, wie man den Tübingerinnen und Tübingern zeigen könne, wie wichtig die Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ für uns noch heute ist. Ich zitiere aus Porallas Text:

„Mein Labor liegt direkt neben dem Botanischen Garten, und ich schaue fast täglich auf ihn hinunter. So kam mir eines Tages die Idee, in Kombination mit der Pflanze weiße Rose für die Gruppe „Weiße Rose“ etwas zu gestalten. Die Grundidee war folgende: Die Pflanzen im Botanischen Garten besitzen immer ein Etikett mit ihrem deutschen und lateinischen Namen. Die weiße Rose sollte jedoch ein ganz spezielles Etikett erhalten. Auf drei Steinen aus griechischem Marmor aus Tasos sollten die drei Worte DIE WEISSE ROSE in Antiqua einmeißelt werden. Als Besucher wird man durch diese Marmorsteine vor eine Frage gestellt. Vielen wird den Sinn einfallen, und andere werden vielleicht einen der Gärtner danach fragen. Für viele wird die Begegnung mit einer Nachdenklichkeit enden. So wird der Besuch des Botanischen Gartens verbunden mit einer Erinnerung an deutsche Geschichte.“

Am 2. November 1990 wurde das Denkmal schließlich aufgestellt. Ausgeführt hat es der Bildhauer Egon Baur aus Wendelsheim bei Rottenburg am Neckar. Die drei Steine sind 50, 95 und 78 Zentimeter lang, 21 Zentimeter hoch und 45 Zentimeter breit. Die Schrift ist 20 Zentimeter hoch. Als Spender konnte Poralla nach längerer Suche die Kunststiftung der Württembergischen Hypothekenbank Stuttgart gewinnen, die dem Bildhauer Baur die entstandenen Kosten ersetzte. Poralla wollte für seine konzeptionelle Arbeit kein Honorar.

Schönheit und Schrecken

Karl Poralla wollte mit seiner in Stein gemeißelten Weißen Rose das Schöne mit dem Schrecklichen verbinden. Diese Verbindung war auch ein Lieblingsthema des schottischen Künstler Ian Hamilton Finlay, den er bewunderte, und in dessen berühmtem Landschaftsgarten Little Sparta in der Nähe von Edinburgh einige solcher Bildhauerarbeiten in Schrift zu sehen sind.

Wenn Sie also das nächste Mal in den Botanischen Garten in Tübingen gehen, dann machen Sie einen Abstecher zur Weißen Rose. Und wer weiß, vielleicht werden die weißen Marmorsteine ja mal wieder richtig zum Strahlen gebracht und um eine erklärende Tafel ergänzt? Zwei neue weiße Rosen „Hella“ wurden erst letztes Jahr gepflanzt. Sie blühen gerade.

NK | CK

Print Friendly, PDF & Email

1 Kommentar

  1. Vielen Dank für die Information über das Denk(!)mal für die „Weiße Rose“ im botanischen Garten.
    Erfreulich, dass es dort so etwas gibt.
    Es ist nicht zu verstehen, dass sich auf dem jetzt im Retro-Look gestalteten Geschwister-Scholl-Platz gar kein unübersehbarer Hinweis auf Hans und Sophie Scholl befindet. –
    Die Wilhelmstraße müsste eigentlich auch nicht mehr unbedingt so heißen; der württembergische König Wilhelm mag ja ganz nett gewesen sein mit seinem Spitz, aber richtungsweisend für eine Universitätsstadt mit außerordentlichen Zukunftsaufgaben für eine Demokratie, die als human wird auftreten können, taugt er wohl eher nicht.

GDPR Cookie Consent mit Real Cookie Banner