Permalink

off

Wo Weiden baden gehen | Tübingen, ein Gedicht

„Wo Weiden baden gehen...“ Christa Hagmayer: Am Neckar

„Wo Weiden baden gehen…“ Christa Hagmayer: Am Neckar

Am Neckar

Die Stadt ist ins Wasser gefallen
samt Hölderlinturm
Wo Weiden baden gehn
gleitet ein Kahn
Da läuft die Geschichte aus
Die Lacher schunkeln
und stochern weiter
durchs Aquarell

Christa Hagmeyer

„Hier über dem gelben Fluß, beweinte er seine Liebe“ · Tatjana Kusowljewa: Tübingen, Turm

„Hier über dem gelben Fluß, beweinte er seine Liebe“ · Tatjana Kusowljewa: Tübingen, Turm

Tübingen, Turm

Bin plötzlich im Mittelalter,
wische die Schicht
der Jahre fort, suche
des Wahnsinnigen Spur.

Sie haben mich
zum Turm gewiesen.
Dort steh ich im Fenster,
grüble, versteh:

Schon immer war’s
ungefährlicher für alle;
die Dichter einfach
für verrückt zu erklären.

Hier, über dem gelben Fluß,
beweinte er seine Liebe,
Randbewohnerin auch sie,
wie die Verse, die anachronistische Rede.

Wer in diesen Abgrund schaut,
verliert den Verstand.

Tatjana Kusowljewa
aus dem Russischen von Kay Borowsky, der in Tübingen lebt und schreibt

Die Gedichte für den heutigen Beitrag haben wir der Anthologie Tübingen im Gedicht entnommen, die von Kay Borowsky und Barbara Werner zusammengestellt wurde und 2003 in der Edition Heckenhauer erschien. Die Sammlung beginnt mit einem Gedicht aus dem Jahr 1534, das die Situation Tübingens zu dieser Zeit beschreibt. Es geht weiter über Frischlin, Cellius, natürlich Hölderlin, Uhland, Hesse, Rose Ausländer, und viele mehr, darunter auch etliche noch lebende Dichterinnen und Dichter wie Uwe Kolbe, der mal das Studio Literatur und Theater an der hiesigen Universität geleitet hat, bis hin zu Eva Zeller, die in Tübingen lebt, dichtet und Workshops unterrichtet.

Schöne Postkarte Nr. 150 · Tübinger Gassengebirge. Rose Ausländer | www.schoenepostkarten.de

„giebelrotes Gassengebirge“ · Rose Ausländer: Tübingen · Schöne Postkarte Nr. 150

Tübingen

In der beschützten Stadt
giebelrotes Gassengebirge
jahrhundertedicht

Wahn
vom Neckar
getauft

Hügelgefährten
Hölderlin-treu

Unter schmächtigem Stein
der Staub
atmet

Rose Ausländer (1901 – 1988)

Tübingen im Gedicht ist kein historisierender Touristenführer in Lyrikform, sondern eine anregende Sammlung mit lesenswerten Gedichten, die alle Facetten dieser Stadt zeigen. In seinem Nachwort steuert Kay Borowsky zu vielen Gedichten und Autor*innen erhellende Worte bei. Die Schwarzweiß-Fotografien sind von Roger Sonnewald, in dessen Tübinger Antiquariat Heckenhauer das Buch noch erhältlich ist.

Apropos Lyrik in Tübingen

Nur einen Steinwurf vom Hölderlinturm entfernt – Hölderlin hätte hier gekauft

Nur einen Steinwurf vom Hölderlinturm entfernt – Hölderlin hätte hier gekauft

Im Frühjahr hat in Tübingen in der Bursagasse 15 eine neue, ganz besondere Buchhandlung eröffnet. Die „Lyrikhandlung am Hölderlinturm“ von Gründerin Ulrike Geist ist auf Gedichtbände spezialisiert; und das ist ziemlich einzigartig in der deutschen Buchhandelslandschaft. Wir sind sicher, Hölderlin hätte das gefallen, schrieb er doch in seinem Gedicht „Andenken“ die Zeile „Was bleibet aber, stiften die Dichter.“

Lest Lyrik!

NK & CK

Buchinformation

Tübingen im Gedicht … und stochern weiter durchs Aquarell
Eine Anthologie, herausgegeben von Kay Borowsky und Barbara Werner
mit einem Vorwort von Inge und Walter Jens
Fotografien von Roger Sonnewald
edition j. j. heckenhauer, Tübingen und Berlin, 2003
ISBN 3-9806076-4-1
Hardcover, 172 Seiten
nur noch antiquarisch erhältlich

Print Friendly, PDF & Email

Kommentare sind geschlossen.

GDPR Cookie Consent mit Real Cookie Banner