„Wia heat des auf, wia wird des weidagehn?“, so lautet der Refrain eines Songs von Wolfgang Ambros, den die Älteren hier noch kennen werden.
Wie wird das weitergehen?
Diese Frage stellen sich zur Zeit viele Menschen, nach mehreren Wochen Corona-Lockdown. Licht am Ende des Tunnels? Fehlanzeige. Wir sollten hoffen, dass uns die zweite Welle dieser Pandemie gar nicht oder aber nicht so hart erwischt, wie es manche Virologen und Epidemiologen befürchten. Dabei sind wir in Deutschland – statistisch gesehen – bisher noch ganz gut weggekommen.
Trotzdem: für die Wirtschaft ist dieser Zustand eine Katastrophe, und zwar eine so große, dass selbst die, die immer sagen, der Markt würde alles richten, nach dem Staat rufen. Die Autoindustrie hat sogar so laut geschrien, dass die Kanzlerin schnell zum Autogipfel ins Kanzleramt laden musste. Viel rausgekommen ist nicht, mal abgesehen von der wirklich ganz außergewöhnlichen Idee einer Kaufprämie.
Weiter wie bisher?
Weiter wie vor Corona, geht das überhaupt? Die nächste Pandemie steht vielleicht schon in den Startlöchern; Stichwort: Zoonosen. Und die Klimakrise? Die hat gerade nur eine mediale Zwangspause eingelegt! Die Folgen des Klimawandels, so mutmaßen auch zurückhaltende Expert*innen, werden dramatischer sein, als die der Corona-Pandemie.
Vielleicht ist das ja ein guter Zeitpunkt, über die Zukunft der Welt nachzudenken. Ich habe dazu die Einladung von Prof. Dr. Maja Göpel angenommen, die vor ein paar Wochen ihr neues Buch „Unsere Welt neu denken“ vorgestellt hat:
Unsere Welt neu denken
Maja Göpel ist Politökonomin und Nachhaltigkeitswissenschaftlerin und unter anderem Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderung. Sie gehört zu den Gründer*innen von Scientists for Future, einer Bewegung mit mehr als 26 000 Wissenschaftler*innen, die die Forderungen der Fridays-for-Future-Bewegung unterstützen.
Göpels Buch ist keine ganz einfache Lektüre, aber sehr anregend. Die Autorin erklärt wirtschaftliche Zusammenhänge und bringt historische Fakten zur Wirtschaftstheorie. Vor diesem Hintergrund hinterfragt sie die Art, wie wir wirtschaften und leben. Und wundert sie sich, wie es sein kann, dass wir immer noch nach wirtschaftlichen Prinzipien und Theorien agieren, die aus dem 18. und 19. Jahrhundert stammen. Mit Blick auf die weltweiten wirtschaftlichen und anderen Krisen fordert sie uns auf, „uns die Regeln bewusst zu machen, nach denen wir unser Wirtschaftssystem aufgebaut haben.“ Denn es ist, so Göpel, offensichtlich, dass eine Wirtschaft, die ausschließlich auf Wachstum setzt, nicht unbegrenzt funktionieren kann, wenn die Ressourcen begrenzt sind.
Fossile Brennstoffe, seltene Rohstoffe, Ackerland, sauberes Trinkwasser: überall stoßen wir an Ressourcengrenzen. Und das mit einer Weltbevölkerung von aktuell 7,7 Milliarden Menschen. Immer mehr Menschen, immer knappere Ressourcen: das geht nicht.
Nachhaltige Entwicklung
„Dauerhaltige (nachhaltige) Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“
Göpel zitiert hier den Bericht der Brundtland-Kommission aus dem Jahr 1983. Gro Harlem Brundtland ist die ehemalige norwegische Ministerpräsidentin, die mit ihrer Kommssion im Auftrag der Vereinten Nationen darüber nachgedacht hat, „wie sich unser Wirtschaften mit den Grenzen des Planeten vereinbaren lässt.“ Schon damals war klar: so kann es nicht weiter gehen, weil die natürlichen Ressourcen endlich sind. Trotzdem hat 1987 der US-amerikanische Ökonom Robert Solow den Wirtschaftsnobelpreis für seine Wachstumstheorie bekommen, bei der unter anderem natürliche Ressourcen keine Rolle mehr spielen, weil sie ersetzbar seien. In Solows Worten:
Die Welt kann praktisch ohne natürliche Ressourcen auskommen, daher ist Erschöpfung nur ein Ereignis, keine Katastrophe.
Die Logik hinter dem Ansatz der Substituierbarkeit sieht, sehr vereinfacht gesagt, so aus: Durch die Art, wie wir Landwirtschaft betreiben (Monokultur, Massentierhaltung, Pestizideinsatz usw.), gefährden wir das Überleben der Bienen. Das ist aber nicht weiter schlimm, weil wir das Bestäuben der Pflanzen, wenn es irgendwann keine Bienen mehr gibt, von Minidrohnen erledigen lassen.
Im März 2018 erhält die amerikanische Patentbehörde den Antrag zur Patentierung einer neuen Technik, mit der Pflanzen künstlich bestäubt werden können.
Beantragt hat dieses Patent übrigens nicht etwa ein einsamler Tüftler, sondern der weltweit größte Einzelhändler: Walmart. Ein Unternehmen, das bekannt ist für seine aggressive Preispolitik und seinen gnadenlosen Wachstums- und Verdrängungskurs.
Anmaßung des Wirtschaftens
Für Göpel zeigt sich an diesem Beispiel „die ganze Anmaßung menschlichen Wirtschaftens.“ Denn wir glauben, dass es immer so weitergeht. Tut es aber nicht, so die Autorin. Dies zeigt sie an zahlreichen Beispielen, versehen mit Fußnoten, Quellenangaben und weiterführenden Links im Anhang. Nebenbei macht sie die Leser*innen noch mit einigen wichtigen Fachbegriffen der Wirtschaftswissenschaften bekannt. Theoretisches Rüstzeug ist schließlich nie schlecht, wenn man die Welt neu denken will.
Göpels Thesen leuchten ein. Denn die Gesetze und Modelle nach denen der homo oeconomicus (der ausschließlich wirtschaftlich denkene Mensch) agiert, funktionieren nicht mehr angesichts der großen Herausforderungen, denen sich die Weltgemeinschaft zu stellen hat: Endlichkeit der Ressourcen, Klimawandel, Bevölkerungswachstum. Es ist daher nur konsequent, wenn die Autorin vorschlägt, über die vermeintlich unumstößlichen Gesetzmäßigkeiten unseres Wirtschaftssystems nachzudenken.
Ausbeutung mitten in Deutschland
Wie sehr dieses System in einzelnen Bereichen krankt, sehen wir gerade an den Zuständen in deutschen Schlachthöfen. Leiharbeiter aus Osteuropa arbeiten zu niedrigen Löhnen und hausen beengt in erbärmlichen Unterkünften, nur damit das Nackensteak möglichst billig ins Regal des Discounters kommt. Von den Bedingungen, unter denen die Tiere in diesem Agrarsystem gehalten werden, ganz zu schweigen. Warum ist das so?
Es liegt daran, dass der Agrarmarkt, so wie er heute organisiert ist, nicht-nachhaltiges Verhalten eher belohnt und nachhaltiges Verhalten eher erschwert.
Dazu kommt, dass die Preise vieler Produkte die wahren Herstellungskosten, inklusive aller Folgen für die Umwelt usw., nicht beinhalten. Und das, so die Autorin, ist weder nachhaltig noch gerecht.
Gerechtigkeit ist der Schlüssel für eine nachhaltige Wirtschaftsweise, wenn sie global funktionieren soll. (…) Für diese neue Art der Gerechtigkeit müssen wir ein paar heilige Kühe der Wachstumserzählung schlachten und andere Wege gehen.
Teil der Veränderung sein
Aber ist unsere Welt nicht viel zu kompliziert, weil alles mit allem verzahnt ist? Haben wir als einzelne Bürgerinnen und Bürger überhaupt eine Chance, durch unser Verhalten etwas zu ändern? Nach der Lektüre dieses Buches stellen sich solche Fragen unweigerlich. Die Autorin hat mit dieser Reaktion ihrer Leser gerechnet:
Wir sind alle ein Teil vernetzter Systeme, in denen nichts ohne Effekt ist, ob wir wollen oder nicht. Das bedeutet aber auch, dass wir die Chance haben, den Veränderungen eine bewusste Richtung zu geben. Genau genommen haben wir nicht nur die Chance, sondern auch die Verantwortung dazu. Wir alle können jeden Tag Teil der Veränderung sein, die wir uns für die Welt wünschen, auch wenn sich diese Veränderung erst mal klein und wenig anfühlt.
Maja Göpel hat mit „Die Welt neu zu denken“ ein anregendes, informatives Buch geschrieben, das zur richtigen Zeit auf dem Markt kommt. Denn gibt es einen besseren Zeitpunkt, über die Zukunft nachzudenken, als in diesen Wochen und Monaten, wo unsere bisherige Art zu leben von einem unsichtbaren Virus aus der Bahn geworfen wird?
Buchinformation
Prof. Dr. Maja Göpel
Unsere Welt neu denken – Eine Einladung
Ullstein Buchverlage, Berlin, 2020
Hardcover, 208 Seiten
ISBN: 9783550200793
Gibt’s in jedem guten Buchladen vor Ort.
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N.K. | C.K.