Vor ein paar Monaten hat mir der amerikanische Dichter Jack Ridl, einen anderen US-amerikanischen Lyriker empfohlen: David Budbill. Ich hatte vorher noch nie eine Zeile von Budbill gelesen und auch den Namen noch nie gehört. Das ist nicht weiter verwunderlich, gibt es doch in den USA so viele interessante Dichterinnen und Dichter, die es nie in den deutschen Literaturmarkt schaffen, und Lyrik, wir wissen es alle, hat es sowieso schwer.
Dichter einfacher Leute
Nun, ich habe Budbill gegoogelt und bin auf der Homepage dieses leider schon verstorbenen Dichters auf ein Buch gestoßen, das meine Neugier geweckt hat. „After the Haiku of Yosa Buson“ heißt der schmale, fadengeheftete Band mit gerade mal 86 Seiten. Davon gleich.
Zunächst ein paar Worte zu David Budbill, der am 13. Juni 1940 in Cleveland, Ohio als Kind einfacher Arbeiter zur Welt kam und am 25. September 2016 in Montpelier, Vermont starb. Budbill lebte mehr als 40 Jahre mit seiner Frau, der Künstlerin Lois Eby in einem abgelegenen Dorf in den Bergen Vermonts, bewirtschaftete ein kleines Stück Land, hackte Holz und schrieb: Gedichte, Prosa, Essays, Bücher für junge Leser und Libretti. Trotz seines zurückgezogenen Lebens hat Budbill etliche Auszeichnungen bekommen und sogar eine Ehrendoktorwürde, obwohl ihm die akademische Welt stets fremd war. Budbills Thema war das Leben der einfachen, rauhen Leute in seiner unmittelbaren Nachbarschaft in den Bergen. Die meisten seiner Lyrikbände sind bei Copper Canyon Press erschienen.
Im Nachruf der New York Times wird Budbill so zitiert:
„Ich interessiere mich für die übersehenen Menschen, die Unterdrückten, die Bedrängten und die Vergessenen. Ich möchte Kunst machen, die das einfache Volk verstehen, nutzen, sinnvoll finden und genießen kann.“ (NYT, 30.9.2016)
Wie David Budbill zum Haiku kam
Nun zu Budbill und Buson, dem großen japanischen Haiku-Dichter und Künstler, der von 1716 bis 1784 lebte und leider immer noch ein wenig im Schatten von Bashō steht. Das meint auch der Haiku-Dichter, Essayist und Literaturkritiker Masaoko Shiki (1867 – 1902), der in seinem Buch über Buson diesen sogar über Bashō stellt.
David Budbill bekommt jedenfall eines Tages von einem guten Freund einen Band mit Haiku von Yosa Buson. Die Haiku von Buson, meisterhaft ins Englische übersetzt von United States Poet Laureate W. S. Merwin und Takako Lento (Copper Canyon Press, 2013), begeistern Budbill derartig, dass er beschließt ein Jahr lang auf den Spuren von Buson zu dichten. Dabei hat er Buson nicht einfach imitiert, sondern als konkrete Inspiration für seine eigenen dreizeiligen Kurzgedichte (Budbill nennt sie explizit nicht Haiku) genommen. Er schreibt im Vorwort zu „After the Haiku of Yosa Buson“:
„Meine Gedichte sind Anspielungen auf Busons Gedichte. Sie sind keine Haiku. Zu meiner großen Überraschung stellte ich fest, dass ich über Dinge schrieb, über die ich noch nie zuvor geschrieben hatte, die aber hier und da vorkommen – Dorschfischer, Kuckuck, Laubfrösche, das Dorf Wolcott, Hacken im Garten usw.“
Ich habe mir zu Budbills Band auch die gesammelten, ins Englische übersetzten Haiku von Buson besorgt. Budbill stellt nämlich seinen Haiku immer die Nummer des jeweiligen Haiku von Buson voran. Es macht wirklich Freude und ist sehr interessant, zu sehen, wie sich ein anerkannter Dichter von einem japanischen Klassiker inspirieren lässt. Und: es hat mich selbst dazu gebracht, mich an eigenen Haiku „nach Budbill, nach Buson“ zu versuchen. Hier ein Beispiel, zu dem auch der Dichter Jack Ridl seinen Beitrag geleistet hat:
1.
Buson #767
The first snow falls
then it melts
into dew on the grass
hatsu-yuki ya
kiyureba zo mata
kusa no tsuyu
2.
Snowing barely
Snowing barely then it melts
It’s only the beginning of winter
There’s more to come
David Budbill after Buson #767
3.
The first snow
covers the last leaves
before it melts
Norbert Kraas, after Budbill, after Buson
4.
All snow has melted.
The leftover leaves lie brown.
The moment needs this coffee.
Jack Ridl, after Budbill, after Buson
David Budbill hat sein Buch aufgebaut wie ein klassisches Haiku-Buch: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Dort, wo er direkt Buson zitiert, verwendet er kursive Schrift. Budbills Dreizeiler sind reizvoll und entsprechen durchaus der klassischen Haiku-Tradition, wobei immer wieder Zitate von anderen japanischen oder chinesischen Dichtern 1:1 oder als Anspielungen vorkommen.
Old Age
On the night we watch the old year out
we treat our old age
with reverence
– David Budbill, after Buson #863
On the night we watch the old year out
age is treated
with reverence
– Yosa Buson
Wer Freude an kurzen Gedichten hat und vielleicht Inspiration für sein eigenes Schreiben sucht, dem seien diese beiden Bücher empfohlen. Beide Bücher sind leider nur in Englisch verfügbar, aber das ist kein allzu großes Hindernis, da das Englisch gut verständlich ist. Sowohl Budbill als auch Buson schrieben für normale Leute, „common people“ wie Budbill sagte. Für mich waren sowohl David Budbill als auch Yosa Buson eine echte Entdeckung!
In seinem Haiku #811 schreibt Buson
Here ist perfect beauty
mandarin ducks
under winter trees
Meine Variante:
Here is perfect beauty
a grey heron
on the barren field
Norbert Kraas nach Buson
Haiku sind übrigens, aber das wisst ihr ja alle längst, eine wunderbare Möglichkeit, Abstand zur Hektik des Alltags zu gewinnen.
NK | CK
Buchinformation
David Budbill
After the Haiku of Yosa Buson
FootHills Publishing, 2015
ISBN: 978-0-921053-62-2
Yosa Buson
The Collected Haiku of Yosa Buson
translated by W.S. Merwin & Takako Lento
Copper Canyon Press, 2013
ISBN: 978-1-55659-426-7
Leider bin ich nicht sonderlich gut ein Haiku auf englisch oder überhaupt zu verfassen. Nach langer Abstinenz ist für mich das Schreiben von Haiku zum absoluten Schwierigkeitsgrad mutiert, weil mir in der Regel nichts mehr brauchbares dazu einfällt. Will mich nun jedoch nicht der Herausforderung verweigern, zumal ich mit dem offenbar hungrigen Graureiher auf dem Bild ….., „kommuniziert“ habe und dieser mir eine Antwort gegeben hat, die mir einleuchtete, weil er mir etwas langatmig schilderte, das meinen ganzen Respekt verdient hat und uns Menschen oft nicht mehr wirklich bekümmert … Es könnte jene Geschichte sein, wenn sich zwei um die Beute streiten. Es ist halt nur eine Vision, wohl wissend, dass Tiere weniger großzügig sind als hin und wieder wir Menschen und es insoweit schwerer haben in ungünstigen Zeiten eine die Mägen füllende Beute zu erlegen. So steht „er“ also in der Kälte und gibt sich zumindest aus meiner Sicht durchaus großzügig, obgleich es natürlich auch sein kann, dass er von seinem Gegenüber mit einer ernsten Drohgebärde eingeschüchtert hat und das Jagdrecht in seinem Revier immerhin mit einer nachvollziehbaren „Erklärung“ eingefordert hat.
„Laß gut sein Kumpel
… drei Kinder und eine Frau …“
„ok, hab‘ verstanden.“
Ein wunderbarer Blogbeitrag – vielen Dank dafür!