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Freitagsfoto: Wo tankt man Zuversicht?

Wo tankt man Zuversicht in schwierigen Zeiten? Verlassener Laden in Saint-Quentin-la-Poterie, Languedoc.

Wo tankt man Zuversicht in schwierigen Zeiten? Verlassener Laden in Saint-Quentin-la-Poterie, Languedoc.

Vor knapp einer Woche hat der schlecht frisierte Rechtspopulist Geert Wilders in den Niederlanden eine klare Absage von der Mehrheit der niederländischen Wählerinnen und Wähler bekommen. Trotzdem hat seine Freiheitspartei immerhin um 3 Prozent auf 13,1 Prozent der Wählerstimmen zugelegt, während die Partei der Arbeit (Sozialdemokraten) mehr als 19 (!) Prozent verloren hat. Vom Niedergang der Rechtspopulisten in Europa zu sprechen, wie dies die FAZ tat, scheint mir aber verfrüht. Zumal in Frankreich erst in ein paar Wochen gewählt wird. Dort blamiert sich gerade der konservative Kandidat und bekennende Kirchgänger Fillon mit seinen Gehaltsaffären bis auf die Knochen, während sich die Sozialisten gegenseitig zerfleischen. Der demagogischen Wölfin im demokratischen Schafspelz, Marine Le Pen, kann das nur recht sein. Ihr Front National wird es wohl in die Stichwahl am 7. Mai 2017 schaffen und dort auf den Polit-Shootingstar Macron treffen. Es wird spannend!

Von links nach rechts
Die große Frage, die sich viele Politikerinnen und Politiker rechts und links des Rheins stellen, lautet: Wie konnte es passieren, dass so viele Wählerinnen und Wähler der Sozialdemokraten oder Sozialisten, aber auch der Konservativen, sich auf einmal von den fremdenfeindlichen, homophoben Rechtspopulisten besser verstanden fühlen? Ob diese nun Trump, Le Pen, Wilders, Farage, Orban oder Höcke heißen. Ich fürchte, es gibt darauf keine einfachen Antworten. Auch Martin Schulz, dem sie in der SPD zutrauen, übers Wasser zu den verlorenen Wählern zu gehen, wird sich das fragen. Zum Glück gibt es kluge Menschen, die sich mit diesem Problem ernsthaft auseinandergesetzt haben, und die keine wahltaktischen Haken schlagen müssen. Deren Texte sollten wir lesen.

Brüchiges Band
„Vielleicht ist das Band zwischen der ‚Arbeiterklasse‘ und der Linken gar nicht so natürlich, wie man gerne glaubt“, schreibt Didier Eribon, der 1953 in Reims in eine Arbeiterfamilie hineingeborene Soziologe, der heute zu den wichtigsten Intellektuellen Frankreichs zählt. „Rückkehr nach Reims“ heißt sein Buch, 2016 bei Suhrkamp auf Deutsch erschienen (ISBN 978-3-518-07252-3), mittlerweile bei uns auch sehr erfolgreich. Eribon beschreibt auf 238 Seiten seinen schweren, schmerzhaften Weg aus der miefigen, spießigen und gewalttätigen Enge des Arbeitermilieus in Nordfrankreich. Seine Ausgangsposition ist alles andere als einfach! Er ist schwul, interessiert sich für Philosophie und Literatur, und er setzt alles daran, sich aus dieser zwanghaften Machogesellschaft zu befreien. Seine autobiographische Erzählung verknüpft der Soziologe, der heute in Amiens lehrt, mit einer schonungslosen Analyse der Entwicklung der Arbeiterklasse und der nicht selten auf sie herabschauenden Pariser Intellektuellenkaste. Die Frage, warum die Arbeiterschaft, das Milieu seiner Herkunft, mit wehenden Fahnen zum Front National übergelaufen ist, steht dabei ständig im Raum.

Nicht leicht, aber lohnend
Das Buch ist keine ganz leichte Kost, aber wirklich lohnend und menschlich berührend. Zumal, und das ist erfreulich, Eribon die Anhänger des Front National nicht pauschal verachtet. Er versucht vielmehr, die Ängste und Sehnsüchte der Menschen zu verstehen, die nicht zu den Gewinnern von Globalisierung und Digitalisierung gehören, sondern zu den Abgehängten in Regionen ohne Hoffnung und Zuversicht.

So viel für heute, Euch/Ihnen allen eine gute Woche!

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1 Kommentar

  1. Sehr treffendes Bild. Könnte in der Uckermark, im Osterzgebirge oder im Hunsrück sein.
    Wo Sozialisten, Sozialdemokraten und neoliberale Globalisierer eine Einheitsfront bilden, scheint es für viele „Abgehängte“ niemanden mehr zu geben, dem sie Vertrauen schenken – so einfach ist das.
    Und: „wo die Herrschenden Ruhe woll`n, geht´s den Beherrschten schlecht “ wusste schon der olle Wolf Biermann vor 40 Jahren. Hat sich nichts geändert.
    Gruß
    Rickmer

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