Minenfeld Ferien
Familienurlaube, zumal die großen Ferien, bergen jede Menge Sprengstoff. Die Kinder wollen ans Meer, am liebsten All Inclusive mit Pool, Sonnengarantie und WiFi, die Eltern zieht’s in die pittoresken Dörfer im Hinterland mit ihren romanischen Kirchen. Für den Hund ist Hitze, Sonne, Strand eine Zumutung, Stress pur. Und überhaupt: die Klassenkameraden machen viel coolere Urlaube und posten im Stundentakt unscharfe Fotos von Schwimmbädern, Abendbuffets und sonstigen austauschbaren Banalitäten.
Das Urlaubsziel verkommt wie so vieles zu einer Waffe, mit der Kinder und Eltern die eigene soziale Position gegenüber gesellschaftlichen Konkurrenten bestimmen oder die Gruppenzugehörigkeit verteidigen. Es gilt: je exotischer, desto prestigeträchtiger. „Wie, Ihr wart an Ostern in New York? Das machen wir immer über Allerheiligen; an Ostern waren wir in Myanmar, Trecking, und anschließend 7 Tage Bali zum Chillen.“ Man hakt die Länder in Google Maps ab, wie der Fitnesstracker die Trainingseinheiten.
„Unsere Existenzform ist die Rasanz“
Roger Willemsen schreibt diesen Satz in seinem letzten Buch „Wer wir waren“. Willemsen, geboren 1955, gestorben 2016, hatte eigentlich ein größeres Werk geplant und in Arbeit. Ein Buch, das unsere heutige sich immer weiter beschleunigende Gegenwart aus der Zukunftsperspektive betrachtet. Seine Krebserkrankung hat dieses Projekt unmöglich gemacht. „Wer wir waren“ ist ein Fragment, basierend auf einer Rede, die Willemsem vor seiner Erkrankung gehalten hat. Dieses schmale Buch — eine lohnende Urlaubslektüre! — ist eine melancholische, dichte Gesellschaftskritik. Willemsen analysiert den Zustand unserer Gesellschaft glasklar und plädiert mit Leidenschaft für eine „Abspaltung aus der Rasanz der Zeit“.
Info zum Buch: Roger Willemsem: Wer wir waren. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, ISBN: 978-3-10-397285-6, 12 Euro.
Wären die Ferien nicht eine gute Möglichkeit, sich mal rauszunehmen aus diesem ständigen Getriebensein, dem Vergleichen, dem Abhaken von Events? Pause von der Rasanz! Einfach mal nichts tun. Klar fällt das schwer, aber man kann es ja mal versuchen.
So, und jetzt: Schöne Ferien!
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