Mach dir keine Illusionen
»Kannst du Klavier spielen? Dann geh an den Flügel und spiele und singe „Madame Butterfly“.«
23 Jahre alt ist die Sängerin Fania Fénelon, als ihr diese Frage kurz nach der Ankunft im Frauenlager Auschwitz-Birkenau im Januar 1944 gestellt wird. Sie kann Klavier spielen, und sie kann singen. Ihre musikalische Ausbildung am Pariser Konservatorium rettet der jungen Frau das Leben. Als Fanny Goldstein wurde sie am 2. September 1919 in Paris als Kind jüdischer Eltern geboren. Im Mai 1943 wurde sie in Paris von der Gestapo als Mitglied der Résistance verhaftet.
Fania Fénelon wird in das Mädchenorchester von Auschwitz-Birkenau aufgenommen, das von der brillianten Geigerin und extrem strengen Dirigentin Alma Rosé, Nichte des Komponisten Gustav Mahler, geleitet wird. Die Strenge hat einen Grund: die jungen Musikerinnen spielen buchstäblich um ihr Leben. Das Orchester verdankt seine Existenz der SS-Lagerführerin Maria Mandl und dem Lagerkommandanten von Birkenau, Josef Kramer, die beide Musik liebten. Maria Mandl war verantwortlich für den Tod von tausenden weiblichen KZ-Häftlingen und wurde 1948 in Krakau hingerichtet. Der SS-Führer Josef Kramer, Lagerkommandant von Auschwitz-Birkenau, brauchte die Musik, um sich von seiner menschenverachtenden Tötungsarbeit zu erholen. Kramer wurde im Dezember 1945 im Bergen-Belsen-Prozess zum Tode verurteilt und hingerichet.
»Meine Stimme ist nicht tot«
In ihrem Buch »Das Mächenorchester von Auschwitz« erzählt Fania Fénolon die erschütternde Geschichte von ihrer Gefangennahme in Paris im Mai 1943 bis zu ihrer Befreiung am 15. April 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Zu diesem Zeitpunkt hing Fénelons Leben in zweifacher Hinsicht am seidenen Faden. Zum einen litt sie bereits während des Transports von Auschwitz-Birkenau nach Bergen-Belsen an lebensbedrohlichem Typhus, zum anderen waren sie und ihre Mitgefangenen schon zur Vergasung bestimmt, als das Lager in letzer Minute von englischen Infanteriesoldaten befreit wurde. Fénelon schildert ihre Rettung so:
»Der Soldat meint, ich sterbe, reißt mich aus meinem Sumpf, hebt mich auf seine Arme, es ekelt ihn nicht! Wie wohl fühle ich mich da! Ich muß leicht sein, federleicht (ich wog achtundzwanzig Kilo). An diese Männerbrust gedrückt, auf sie gestützt, meine Kraft aus der seinen schöpfend, stimme ich die Marseillaise an. Meine Stimme ist nicht tot, ich kann singen, ich lebe! …«
Wer mehr über den Holocaust und den brutalen Irrsinn der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschine wissen möchte, sollte die persönliche Geschichte von Fania Fénelon und dem Mädchenorchester von Auschwitz lesen. Fénelon schildert das erlebte Grauen in einer nüchternen Sprache und reflektiert dabei immer wieder über Gründe und Folgen der Entmenschlichung und Erniedrigung.
NK | CK
Buchinformation
Fania Fénelon
Das Mädchenorchester von Auschwitz
Taschenbuch, dtv Verlag
ISBN: 978-3-423-13291-6