Grund und Boden
„Der Boden ist die existenzielle, unersetzliche, faszinierende, verletzliche Ressource, der Quell allen Lebens.“
So schreiben Tanja Busse und Christiane Grefe in ihrem Buch „Der Grund. Die neuen Konflikte um unsere Böden – und wie sie gelöst werden können.“ Aber, was ist das überhaupt, der Boden? Und warum ist diese Ressource derart begehrt, dass in manchen Ländern sogar Morde dafür in Auftrag gegeben werden?
Unter Klima und Wetter können wir uns alle etwas vorstellen; und dass das Klima ebenso bedroht ist wie die Artenvielfalt, haben die meisten mittlerweile auch verstanden. Aber hat man schon mal das Wort Bodenschutz in einer Debatte gehört? Dabei sollte der Schutz unserer Böden, vor allem der obersten 30 Zentimeter Mutterboden (auch Ackerkrume genannt), ebenso viel Aufmerksamkeit bekommen wie der Schutz der Atmosphäre, der Gewässer oder der Arten. Das machen die beiden Autorinnen in ihrem Buch unmissverständlich klar.
In zehn faktengespickten Kapiteln pflügen sich Busse und Grefe Schicht für Schicht durch das komplexe Thema „Lebensraum Boden“. Ausgehend von der Prämisse, dass unser Umgang mit der begrenzten Ressource Boden in Zukunft entscheidend sein wird. Die Gleichung ist ziemlich einfach: kein gesunder Boden = keine gesunde landwirtschaftliche Nahrungsmittelproduktion.
Und den Böden droht von überall her Ungemach: Flächenversiegelung (aktuell in Deutschland rund 78 Fußballfelder pro Tag), Überschwemmungen, Dürren, Überdüngungen, Auslaugung, industrialisierte Landwirtschaft, um nur ein paar Probleme zu nennen. Forscher gehen davon aus, dass bis 2025 rund 500 bis 700 Millionen Menschen ihre Dörfer verlassen müssen, weil sie sich von ihrem Land aufgrund permanenter Trockenheit nicht mehr ernähren werden können. „Desertifizierung“ nennen Spezialisten das, Verwüstung im wahrsten Sinne des Wortes.
„Dabei werden gute Böden dringend gebraucht, um die vielen bekannten und existenziellen Krisen zu lösen.“
Landwirtschaft, Wohnungsbau, Industrie, Naturschutz, Artenschutz, Windparks, Solarfelder, Investoren, Autofahrer: Alle wollen ein möglichst großes Stück vom Boden zu möglichst attraktiven Konditionen und mit möglichst wenig Nutzungseinschränkungen haben. Dabei, das zeigen Busse und Grefe gleich im zweiten Kapitel, ist der Boden noch längst nicht erschöpfend erforscht. Wurzeln, Würmer, Mikroben, Pilze: von einem „Wunder der Unterwelt“ zu sprechen, ist angesichts dessen, was sich da im Boden an tierischen und pflanzlichen Organismen tummelt, eher noch untertrieben.
„Eine Million Bakterien, 120.000 Pilze und 25.000 Algen kann man in einem einzigen Teelöffel Erde finden!“
Und vom Regenwurm haben wir da noch gar nicht gesprochen. Er wird schon bei Aristoteles erwähnt und von Charles Darwin wissenschaftlich gewürdigt und verehrt. Darwin war so beeindruckt von seinen Regenwürmern, dass er ihnen zu Forschungszwecken Klavier- und Fagottstücke vorspielte.
Böden sind komplex, der Streit um sie auch
Wer sich mal anhören möchte, wie das klingt, was sich im Boden alles tummelt, dem empfehlen die Autorinnen die Webseite „Sounding Soils“ (Tönende Böden). Wissenschaftler u.a. der renommierten ETH Zürich haben mit Hochleistungsmikrofonen in unsere Böden hineingehorcht. Es ist faszinierend! Böden, auch das ist erstaunlich, speichern darüber hinaus viermal so viel Treibhausgas CO2 wie die oberirdische Vegetation und mehr als doppelt so viel wie die Atmosphäre.
Im weiteren Verlauf des Buches analysieren Busse und Grefe im Detail die hochkomplexen Interessenlagen im Kampf um die Ressource Land und machen deutlich, wie schwierig es für eine unterbesetzte und oft überforderte Verwaltung (in Kommunen, Land, Bund) ist, alle Interessen und Ansprüche gegeneinander abzuwägen. Klimaschutz und Artenvielfalt bleiben in diesen Verfahren, die nicht selten in gerichtlichen Auseinandersetzungen enden, häufig auf der Strecke. Ebenso häufig unterliegen unabhängige, kleinere Landwirte (ob bio oder konventionell) in Bieterverfahren gegen Agro-Investoren, wenn es um den Kauf landwirtschaftlicher Flächen geht. Dazu kommt: Boden ist auch ein Spekulationsobjekt, vor allem wenn die Zinsen für andere Anlagen nicht so interessant sind. Der größte Ackerlandbesitzer der USA im Jahr 2021 war übrigens kein Landwirt, sondern Bill Gates mit 100.900 Hektar.
Man könnte noch viele interessante Fakten, Argumente und Fragestellungen aus diesem lesenswerten Buch aufführen; zum Beispiel: Wem gehört das Land? Wem gehört die Stadt? Wie gehen wir mit globaler Landnahme (Landgrabbing) um? Warum lassen wir zu, dass einem Viertel der Weltbevölkerung die wichtigste Lebensgrundlage fehlt, weil der Boden (häufig) falsch bewirtschaftet wird, oder weil der Boden vertrocknet, erodiert, ausgelaugt, versiegelt oder schlicht ungerecht verteilt ist? China zählt übrigens zu den großen Landgrabbern auf dem afrikanischen und südamerikanischen Kontinent. Chinesische Staatsfonds kaufen dort Ackerland im ganz großen Stil, um die Versorgung der chinesischen Bevölkerung zu sichern. Den einheimischen Bauern bleiben meist nur noch mäßig fruchtbare Äcker.
Und jetzt?
Am Ende ihres wichtigen Buches kommen die Autorinnen zu einem mahnenden Schluss:
„Die ganze Gesellschaft ist herausgefordert, weil es um ihre Existenzgrundlage geht. Um Essen, Wohnen, Kleidung, Reisen, Gesundheit, denn alles hängt mit dem Boden zusammen, und er ist – nicht zuletzt – der dritte Produktionsfaktor neben Kapital und Arbeit. Diese ganze Gesellschaft ist zuallererst gefordert, ein neues Bewusstsein, Demut und Respekt für den Boden zu erlernen.“
Senken wir also öfter den Blick, wenn wir in Wald und Wiesen spazieren gehen, und stellen uns vor, wie unter unseren Füßen Abermillionen von Lebewesen ihre Arbeit verrichten, damit es unseren Böden gut geht.
NK | CK
Buchinformation
Tanja Busse, Christiane Grefe
Der Grund. Die neuen Konflikte um unsere Böden und wie sie gelöst werden
Gebunden, 240 Seiten
Verlag Antje Kunstmann, München 2024
ISBN: 978-3-95614-585-8
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