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Den Pestgott wegschwemmen

Den Pestgott lassen wir
wegschwemmen: – Halsen ihm auch noch
die Flöhe auf!

Einfach wegschwemmen

Wäre das nicht schön, wenn wir dieses elende Corona-Virus einfach so wegschwemmen könnten? Dasselbe hat wahrscheinlich auch der japanische Haiku-Dichter Issa (1763 – 1827) gedacht, als er dieses Haiku über den Pestgott während der Krankheit seines Vaters geschrieben hat. Und, typisch Issa, hat er noch eine Prise Humor hineingebracht.

Gelesen habe ich dieses Haiku vor ein paar Tagen in dem kleinen Band „Die letzten Tage meines Vaters“. Issa beschreibt in diesem Tagebuch, das einen Zeitraum von gut einem Monat umfasst, wie er seinen geliebten und verehrten Vater bis zu dessen Tod zuhause pflegt. Issa ist zu diesem Zeitpunkt 39 Jahre alt und zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder daheim. Sein Vater, der vermutlich an einer Form des Typhus leidet, lebt mit Issas Stiefmutter und seinem Stiefbruder zusammen, die Issa nur Abneigung entgegenbringen.

Ach, mein Heimatdorf:
kommt man näher, spürt man umso mehr
die dornigen Rosen.

Trotz aller Schwierigkeiten und der Aussichtslosigkeit der Lage bleibt Issa bei seinem Vater und widmet sich rührend um ihn. In 31 Eintragungen hält der Dichter seinen Alltag fest: das Wetter, die bäuerlichen Verrichtungen und natürlich den Verlauf der Krankheit des Vaters. Dieser ist alles andere als ein vernünftiger, einsichtiger Kranker, vielmehr macht er dem Sohn die Pflege durch seine Sturheit sehr schwer. Issa beschreibt die Situation nüchtern ohne jede Schönfärberei, bisweilen sogar mit naivem Optimismus, der dann schnell wieder in blanke Hoffnungslosigkeit umschlägt.

23. Tag des 4. Monats

Ich hatte Vater eben noch beim Begießen der Auberginenstecklinge gesehen. Plötzlich aber bemerkte ich, daß er mit dem Gesicht der Erde zugewandt am Boden kauerte, und – was mochte er sich dabei nur gedacht haben? – seinen Rücken der prallen Frühlingssonne aussetzte. „Wieso liegt Ihr denn ausgerechnet hier, an einem so widerwärtigen Ort?“, fragte ich, Issa, während ich meinen Arm um ihn legte und ihm aufhalf. Erst später fiel mir ein, dies als böses Vorzeichen zu deuten: daß er hier zu Erde werden könne, wie die, aus der hier der Beifuß sprießt. Ist das ein Unglückstag!

Aber, und das ist eben Issa, inmitten des Unglücks, findet dieser besondere Haiku-Dichter, immer wieder Zeit und Muße, sein persönliches Erleben, seine Hoffnungen und Ängste, seinen Alltag als Pfleger in einem Haiku zum Ausdruck zu bringen. Das ist anrührend und tröstlich, und nicht selten fühlt man sich als Leser*in direkt angesprochen, hier und jetzt in diesen Corona-Zeiten, wo es mehr denn je auf Empathie und Zusammenhalt unter uns Menschen ankommt. Am 11. Tag des 5. Monats dichtet Issa dieses Haiku

Streitet euch nicht,
haltet zueinander,
ihr Zugvögel!

Rostsgänse beim Überflug zwischen Wurmlingen und Unterjesingen

Rostsgänse beim Überflug zwischen Wurmlingen und Unterjesingen. Gibt’s mit Kapelle als Postkarte hier.

Gut möglich, dass Issa hier nur die Zugvögel gemeint hat, die über seine ärmliche Hütte geflogen sind. Genauso gut könnte es aber auch sein, dass er uns Menschen gemeint hat. Ich nehme mir jedenfalls die Freiheit, das in dieses Haiku hineinzulesen. Schließlich sind wir alle Zugvögel auf der Durchreise?

Wie alle Haiku-Bücher aus der Dieterich’schen Verlagsbuchhandlung ist auch dieser Band zurückhaltend und stilvoll gestaltet. Immer wieder lockern Tuschezeichnungen aus Issas Feder die Seiten auf. Die Übersetzung stammt von G. S. Dombrady (1924 – 2006), einem der renommiertesten Japanologen und Haiku-Experten, der bis zu seiner Emeritierung den Lehrstuhl für Japanologie an der Universität zu Köln inne hatte. Ein ausführliches Nachwort und erläuternde Anmerkungen für uns, die wir nicht so intensiv mit der japanischen Kultur vertraut sind, runden dieses gelungene Werk ab.

Was lest ihr gerade? Was hört ihr so? Was tut euch gut in diesen dramatischen Zeiten? Wir freuen uns auf eure Kommentare!

Passt gut auf euch auf!

N.K. | C.K.

Buchinformation

Kobayashi Issa
DIE LETZTEN TAGE MEINES VATERS
aus dem Japanischen mit einer Einführung und Anmerkungen von G. S. Dombrady
Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, 1985
Gebunden, Leinen, 192 Seiten
ISBN 978-3-87162-003-4
leider nur antiquarisch

Ich hoffe sehr, dass der Verlag sich bald zu einer Neuauflage entscheidet. Und eigentlich wäre auch mal Zeit für eine deutsche Gesamtausgabe von Issa.

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1 Kommentar

  1. Lieber Herr Kraas!

    Ich lese gerade „Zeiten des Aufbruchs“ von Carmen Korn. Ich finde, es passt gut in den Augenblick, zeigt es einem doch, dass es immer wieder weiter geht!

    Herzliche Grüße!

    Ute Krahl

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