Der Winkel von Hahrdt
Hinunter sinket der Wald,
Und Knospen ähnlich, hängen
Einwärts die Blätter, denen
Blüht unten auf ein Grund,
Nicht gar unmündig.
Da nemlich ist Ulrich
Gegangen; oft sinnt, über den Fußtritt,
Ein groß Schicksaal
Bereit, an übrigem Orte.
Friedrich Hölderlin (20. März 1770 – 7. Juni 1843)
Zum Ulrichstein, einem großen Findling in einem Waldstück zwischen Grötzingen und Nürtingen gelegen, ist Friedrich Hölderlin, der sehr gut zu Fuß war, wohl in seiner Jugend öfter gewandert.
Der Tübinger Schriftsteller und Hölderlin-Kenner Kurt Oesterle schreibt in seinem Aufsatz „Da nemlich ist Ulrich gegangen“ über diesen magischen Ort:
„Der Ulrichstein galt lange als eine Art Gründungssymbol des evangelischen Württemberg: Hier hatte Herzog Ulrich 1519 ein Versteck vor den Truppen des Schwäbischen Bundes gefunden. Eine Spinne soll flugs ihr Netz vor der dreieckigen Spalte gesponnen haben, in deren Dunkel der Gejagte sich verborgen hatte. Die Verfolger überlegten: Wenn jemand da hinein wäre, hätte er unweigerlich das Spinnennetz zerreißen müssen. Sie ritten fort und suchten weiter, der Herzog kam davon. Volkssage – in meinem Fall noch um 1960 von der Großmutter mit religiöser Inbrunst vorgetragen. Nach vielen Exiljahren kehrte Ulrich ins Land zurück und setzte die Reformation durch. Um jedem Irrtum vorzubeugen: Für das evangelische Württemberg war das Spinnennetz von keiner geringeren Macht als der Vorsehung gewoben, die Ulrich rettete, damit er anderthalb Jahrzehnte später in seinem Land den neuen Glauben einführen konnte.“
„Der „Winkel von Hardt“, so Oesterle, „war für Hölderlin jener Glücksfall, bei dem Natur Erinnerung birgt – verläßlicher als das wechselhafte, launische und unberechenbare Menschengedächtnis. Die Stelle im Wald, vor allem Herzog Ulrichs wie durch ein Wunder zu Stein gewordener Fußabdruck, ist „nicht gar unmündig“, hat also etwas zu sagen. Gleichsam ist er das Allerheiligste des Winkels, der es mit Blattwerk, Bäumen und Blüten von aller Art umgibt wie einst der Hain die antiken Götter.“
Den Fußabdruck Herzog Ulrichs kann man heute am Ulrichstein nicht mehr sehen. Das Naturdenkmal musste vor ein paar Jahren aufwendig saniert werden, da der riesige Findling in Folge von Erdrutschen den Hang hinab zu stürzen drohte. Hölderlin lesenden Wanderern sei der kleine Wanderführer der Stadt Nürtingen empfohlen, den man hier runterladen kann. Informationen zum Hölderlin-Museum der Stadt Nürtingen gibt’s hier.
Den Aufsatz von Kurt Oesterle „Da nemlich ist Ulrich gegangen“ gibt es leider noch nicht online. Wir zitieren hier mit freundlicher Genehmigung des Autors. Der Aufsatz wird im Rahmen eines geplanten Buchprojektes erscheinen. Die Homepage von Kurt Oesterle ist hier.
N. / C.